Das Orakel des Todes
Grund.“
„Es ist meine Schuld“, sagte ich. „Ich hätte sie nicht ~ ohne Schutz lassen dürfen. Ich habe vor aller Ohren meine Absicht bekundet, sie vielleicht noch einmal zu befragen.
Wie es aussieht, wollte jemand verhindern, dass sie spricht.“
„Glaubst du, sie hat mehr gesehen, als sie dir erzählt hat?“ „Wahrscheinlich nicht, aber manchmal ist es besser, kein Risiko einzugehen. Eins ist klar: Wer immer hinter dem Mord steckt, wollte ein potenzielles Problem eliminieren. Und diesmal hielten der oder die Täter es offenbar nicht für nötig, sich irgendeiner geheimnisvollen Mordmethode zu bedienen.“
„Warum bei den Ställen?“, grübelte Julia laut. „Was hatte sie hier mitten in der Nacht zu suchen?“
„Das habe ich mich auch schon gefragt. Vielleicht hatte sie solche Angst, dass sie fliehen wollte, und ist zu den Ställen gegangen, um sich ein Pferd zu stehlen. Aber der Mörder hat bestimmt nicht zufällig hier auf sie gewartet.“
„Sie muss von jemandem hierher bestellt worden sein, von jemandem, von dem sie dachte, dass sie ihm vertrauen könnte.“
„Wenn es so war, hat sie sich gründlich geirrt. Ich frage mich, wie tief sie in die ganze Geschichte verwickelt ist.“ „Du meinst, sie war vielleicht eine Komplizin?“, fragte Julia.
„Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Sklave angestiftet wird, seinen Herrn auszuspionieren. Und es wäre auch nicht das erste Mal, dass jemand sich auf diese Weise eines Komplizen entledigt.“
Inzwischen war es hell geworden, und wir machten uns an die Untersuchung des Tatorts. Wie in jedem Stall war der Boden im vorderen Bereich, wo die Leiche lag, ein einziger Matsch. Es gab so viele Fußspuren von Menschen und Tieren, dass sie für uns wertlos waren. Ich untersuchte den Boden eingehend nach irgendwelchen Auffälligkeiten, doch es gab keine. Nur das schöne Mädchen, dessen Augen nach oben ins Nichts starrten. Sie waren völlig ausdruckslos, blickten mich nicht einmal vorwurfsvoll an, wie ich es verdient hätte.
„Tja, meine Liebe“, wandte ich mich schließlich an meine Frau, „wie es aussieht, gibt es hier nichts, das uns weiterbringen könnte.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher, Liebster“, entgegnete sie. Zu meinem Entsetzen öffnete sie das Gewand der unglückseligen Hypatia und betastete ihre Brüste und ihren Bauch. Offensichtlich zufrieden richtete sie sich wieder auf. „Dieses Mädchen ist - beziehungsweise war – schwanger. Vermutlich im dritten Monat.“
Ihre Worte schockierten mich überhaupt nicht, aber das, was sie tat, sehr wohl. Wir Römer machen uns nichts daraus, lebende Menschen in Tote zu verwandeln. Das tun wir schließlich tagtäglich. Aber wir haben eine tief verwurzelte Abscheu vor der Berührung einer Leiche, bevor die erforderlichen Totenriten vollzogen wurden. Der Tod vergiftet, und bevor die Leiche berührt werden kann, muss das reinigende Lustrum vorgenommen worden sein. Und ausgerechnet Julia, die Personifizierung patrizischen Standesdünkels, berührte die Leiche einer ermordeten Sklavin!
Wohlgemerkt, ich zweifelte keinen Augenblick an der Richtigkeit ihres Urteils. Es gibt nur wenige Frauen, die mehr Schwangerschaft wissen als Julia, denn sie befasste sich leidenschaftlich mit diesem Thema. Sie litt unter der berühmten Unfruchtbarkeit der Julier und hatte auf der Suche nach einem Heilmittel sämtliche Hebammen, Ärzte und Quacksalber Roms konsultiert. Doch trotz der vielen Jahre, in denen wir es nun schon versuchten, war sie sehr selten schwanger geworden. Sie hatte nur zweimal ein Kind zur Welt gebracht, und beide Säuglinge hatten nicht einmal die ersten vier Monate überlebt. Ich akzeptierte es als den Willen der Götter, zumindest was die Julier anging, denn im Gegensatz zu ihnen war die Fruchtbarkeit meiner eigenen Familie schon beinahe lästig. In unseren Kreisen bedient man sich normalerweise der Adoption, wenn man keine eigenen Nachkommen zeugen kann, doch Julia wollte bisher noch nichts davon wissen. Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, doch noch einen Stammhalter mit den guten Anlagen der Julier und der Caecilier zur Welt zu bringen.
„Na und?“, entgegnete ich schließlich, als ich meinen Schock überwunden hatte. „Sklavenmädchen werden ständig schwanger, und so ein hübsches Exemplar wie Hypatia war mit Sicherheit besonders gefragt. Julia, du hast dich vergiftet! Wir müssen sofort einen Priester kommen lassen und ein Lustrum vornehmen.“
„Sei doch nicht so
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