Das Orakel des Todes
Recht? Darf ich dich daran erinnern, dass der kurulische Stuhl zu den Insignien des Imperium gehört und niemand, den der Senat nicht mit Imperium ausgestattet hat, darauf Platz nehmen darf?“
„Ja, Herr“, entgegnete er mit gesenktem Blick. „Es tut mir leid, Herr. Es soll nicht wieder vorkommen.“
„Wenn doch, bringe ich dich vor mein Gericht und werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass dein Vergehen hart bestraft wird.“
Aber du bist doch ausschließlich für Fälle zuständig, in die Ausländer verwickelt sind!“, protestierte er.
„Juristisch gesehen eine Lappalie. Ich kann dich hinrichten lassen, und wenn ich mein Amt niederlege, können deine Angehörigen versuchen, mich dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Aber sie werden keinen Erfolg haben, weil meine Familie viel einflussreicher ist als deine. Und selbst wenn - es würde dir nichts mehr nützen, da du bereits tot bist.“
„Aber ...“
„Nun gut, du hast dich also unrechtmäßig auf meinen kurulischen Stuhl gesetzt. Und dann? Hast du dir aus meinen privaten Vorräten Wein kommen lassen?“
„Aber nein. Einige Leute traten an mich heran, die meisten hatten irgendwelche Fragen zu deinen Ermittlungen..
„Was für Fragen?“, fiel ich ihm erneut ins Wort. Vor Gericht ist es eine bewährte Anwaltstaktik, die Leute nicht ausreden zu lassen, denn das bringt sie aus dem Konzept und lässt sie Dinge sagen, die sie mit etwas Zeit zum Nachdenken und zum Zurechtlegen ihrer Aussage nicht gesagt hätten.
„Naheliegende Fragen. Ob du schon irgendwelche Fortschritte gemacht hast, ob die verschwundenen Priester gefunden wurden und so weiter. Einige wollten ihre Nachbarn oder ihre Feinde anschwärzen.“
„Waren irgendwelche ernst zu nehmenden Leute dabei?“ Er schüttelte den Kopf. „Nur Verrückte oder unbedeutende Querulanten.“
„Hatte irgendjemand von ihnen politische Fragen, ich meine Fragen, die nichts unmittelbar mit dem Fall zu tun haben?“ Das interessierte mich am meisten, denn angesichts der Tatsache, dass es in der ganzen Gegend von Anhängern Pompeius' wimmelte, war es nur zu wahrscheinlich, dass einige von ihnen versuchen würden herauszufinden, auf welcher Seite ich stand. Bisher hatte sich meine Familie im Hinblick auf den bevorstehenden Entscheidungskampf zwischen Pompeius und Caesar auf keine Seite geschlagen. Und was mich selber betraf, so hatte ich zwei Seelen in meiner Brust. Nein, ich hatte sogar drei oder vier Seelen in meiner Brust, und keine von ihnen hatte eine befriedigende Antwort für mich.
„Diese Dame aus Stabiae, Sabinilla, ist auch vorbeigekommen. Sie hat die üblichen Fragen gestellt, doch dann wollte sie auch noch wissen, ob du das Vertrauen des Onkels deiner Frau genießt, also das Vertrauen Caesars. Sie tat so, als ob dir das, wenn es so wäre, eine gewisse Faszination verliehe.“
„Das täte es auch, zumindest für einige Leute. War sonst noch jemand da?“
„Ein Mann namens Drusius hat mich belästigt. Er war schon ziemlich betrunken. Er behauptete, der Sprecher der in dieser Gegend ansässigen Veteranen Pompeius' zu sein, und sagte, dass du die Geschichte besser schnell erledigst. Andernfalls werde es Schwierigkeiten geben.“
„Das hat er gesagt? Ich hatte eigentlich den Eindruck, dass Pompeius' Männer in dieser Gegend nicht so zahlreich vertreten sind, aber vielleicht sind es doch mehr, als ich dachte.“
„Er könnte auch nichts weiter als ein dahergelaufener Aufschneider sein, der so tut, als hätte er in der Gegend Einfluss.“
„Wahrscheinlich hast du Recht“, pflichtete ich ihm bei. Die Aussicht auf möglichen Ärger aus dieser Richtung beunruhigte mich trotzdem. „ Kommen wir also zum Punkt: Wann genau hast du dem Mädchen nachgestellt?“
„Ich habe ihm nicht nachgestellt!“, protestierte er entrüstet.
„Verstehe, das wäre natürlich weit unter deiner Würde. Wir ist es dann dazu gekommen, dass ihr zur selben Zeit am selben Ort wart?“
„ Es war kurz nach Mittag. Sie kam aus dem Tempel und fragte mich, ob ich nicht Lust auf eine kleine Erfrischung hätte...“
„ Aha, eine Erfrischung“, wiederholte ich tonlos. „Genau, ich dachte, dass sie vielleicht ein kleines Mittagessen oder einen Becher Wein oder etwas in der Richtung meinte. Also folgte ich ihr in den Tempel.“
„ Klar, ein Tempel ist ja auch genau der Ort, an dem normalerweise ein kleiner Mittagsimbiss bereitsteht.“
„Ich gebe es ja zu, ich war nicht gerade übermäßig erpicht, irgendwelche
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