Das Orakel des Todes
sagte Marcus. „Er wagt es nicht einmal mehr, sich auf dem Forum blicken zu lassen.“ Dieser Sallustius war ein erbärmlicher Emporkömmling, den ich schon viel zu lange kannte. Von den korrupten Senatoren, die Schande über die Curia gebracht hatten, war er einer der schlimmsten, und in jenen Jahren war die Curia wirklich sehr korrupt. Er versuchte ständig, sich bei mir einzuschmeicheln, und ich kannte seine anbiedernde Art nicht ertragen. In späteren Jahren, als die politischen Ränkespiele und kriminellen Machenschaften nicht mehr seine volle Aufmerksamkeit forderten, bezeichnete er sich selbst als Historiker.
„Und jetzt die weniger erfreuliche Nachricht“, fuhr Marcus fort. „Caesar und der Senat scheinen sich auf Kollisionskurs zu befinden.“
„Tja“, entgegnete ich resigniert, „das stand zu befürchten.“ Caesar wollte sein außerordentliches Kommando in Gallien und Illyrien behalten. Außerdem wollte er bei den Wahlen im kommenden Jahr als Konsul kandidieren. Das Problem war, dass der Senat auf seiner Rückkehr nach Rom bestand, damit er sich in traditioneller Weise für das Amt zur Wahl stellte. Doch ein römischer Propraetor oder Prokonsul verlor sein Imperium in dem Moment, in dem er das Pomerium überschritt. Der Senat hatte Caesars Nachfolger bereits ausgeguckt.
„Der Senat hat verfügt, dass Caesar nördlich des Rubikons bleiben muss, wenn er sein Prokonsulat nicht aufgeben will.“ Der Rubikon bildete die Grenze zwischen Italia und Caesars Provinz.
„Das wird er nicht tun. Er wird den Rubikon überschreiten und seine Legionen mitbringen. Ich kenne ihn und seine Soldaten. Nach allem, was er in den vergangenen zehn Jahren erreicht hat, nach all den Siegen und der Beute, die er ihnen beschert hat, werden diese Männer Rom belagern, wenn er sie darum bittet. Und er wird sie darum bitten, davon bin ich überzeugt.“
„Unsinn!“, widersprach mir Julia vehement. „Caesar wird sich dem Senat niemals mit Waffengewalt widersetzen! Dafür hat er viel zu großen Respekt vor den römischen Traditionen. Es gibt Senatoren, die seinem Ansehen törichterweise schaden wollen, aber Caesar achtet dieses erhabene Gremium genauso wie jeder andere gute Römer. Was sagt Lepidus zu alldem?“
Lucius Aemilius Lepidus Paullus, einer der amtierenden Konsuln in jenem Jahr, bemühte sich nach Kräften, Caesar zu unterstützen, da ihm dieser neben anderen Gefälligkeiten das notwendige Geld für die Restaurierung der familieneigenen Basilica Aemilia zur Verfügung gestellt hatte. I Leider war sein Kollege, Claudius Marcellus, Caesars Todfeind und ein wesentlich mächtigerer Mann. Julias Zuneigung zu ihrem Onkel führte sie auf die gefährlichen Abwege des Wunschdenkens.
„Lepidus versucht, Caesar wie immer zu unterstützen. Aber er befindet sich mit dieser Haltung im Senat in der Minderheit. Die Volksversammlungen favorisieren nach wie vor Caesar.“
„Cicero“, fuhr Marcus in dem Versuch fort, die Stimmung ein wenig aufzuheitern, „hat Cilicia bereits verlassen. Er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu verhindern, dass sein Prokonsulat verlängert wird. Außerdem hat er den Senat um einen Triumph ersucht.“
„Einen Triumph?“, hakte ich nach. „Für so einen unbedeutenden Sieg?“ Cicero, dieser widerwilligste aller Soldaten, war Statthalter von Cilicia und hatte schließlich irgendwann einen Sieg errungen, allerdings hatte es sich bei seinen Gegnern lediglich um eine Horde Banditen gehandelt.
„Seine Truppen haben ihm zugejubelt und ihn zum Imperator ausgerufen“, berichtete Marcus.
„Das Niveau der römischen Legionäre muss ziemlich gesunken sein, wenn sie Cicero zum Imperator ausgerufen haben.“ Normalerweise sprach ich nicht abschätzig über Cicero, den ich mehr als alle Römer bewunderte und als einen Freund betrachtete. Doch in den späteren Jahren seiner politischen Karriere wurde er dümmlich hochtrabend und überheblich. Allein die Vorstellung, wie der spindeldürre, unsoldatische Cicero im Triumphzug für einen so unbedeutenden Sieg durch Rom ritt, war zutiefst beschämend.
„Curio ist weiterhin sehr umstritten“, fuhr Marcus fort. „Nachdem er monatelang hin- und hergeschwankt ist, ist er inzwischen klar auf Caesars Seite.“ Scribonius Curio war der bemerkenswerteste Volkstribun seit langem. Sein Aufstieg war atemberaubend gewesen, und er war bemerkenswert effektiv: Er brachte in einem bislang ungekannten Ausmaß Gesetzesvorschläge ein und boxte sie durch die
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