Das Orakel des Todes
in die Stadt, vorbei am örtlichen Apollotempel (wieder dieser griechische Einfluss) und einem kleinen, aber exquisiten Tempel, der den öffentlichen Laren gewidmet war. Hinter dem Forum erreichten wir einen Bezirk mit diversen kleineren Tempeln. Hier befanden sich auch die Einrichtungen der Leichenbestatter. Anders als in Rom trugen die Leichenbestatter in Campania keine etruskischen Trachten. Ein Mann, der wie alle seine Kollegen eine schwarze Tunika trug, führte uns an einen Tisch, auf dem unter einem Tuch die Leiche des ermordeten Syrers lag.
Auf meine Handbewegung hin schlug der Bedienstete, das Tuch zurück, und zum Vorschein kam die Leiche eines schlanken, bärtigen Mannes, der um die fünfzig sein mochte. Jemand hatte ihn so hergerichtet, dass sein Gesicht Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte. Ganz im Gegensatz dazu stand seine Wunde. Sie befand sich im Bauch, direkt unter dem Brustbein. Er war erstochen worden.
„Hast du eine Ahnung, wann es passiert ist?“, fragte ich. „Wahrscheinlich vorgestern Nacht“, erwiderte der Duumvir. „Ein Mann hat gestern Morgen das Büro des Syrers aufgesucht und ihn tot auf dem Boden gefunden. Er hat sofort einen Stadtwächter alarmiert, und dieser hat umgehend einen Läufer zu mir geschickt. Als mir einfiel, dass der Tote als Angeklagter vor deinem Gericht auftreten sollte, habe ich dir einen Boten gesandt, damit auch du informiert wirst.“
„Sehr aufmerksam von dir. Ich denke, hier haben wir genug gesehen. Wenn du uns jetzt zu seinen Geschäftsräumen führen könntest, wäre ich dir sehr verbunden.“
Auf dem Weg durch das Straßengewirr winkte ich Hermes zu mir. „Kommt dir die Mordmethode bekannt vor?“ „Erinnert mich an das Sklavenmädchen im Tempel“, erwiderte er. „Aber jemanden mit einem Messer zu erstechen, ist eine weit verbreitete Methode, jemanden zu beseitigen.“ „Wenn das Ganze in Rom passiert wäre, würde ich mir darüber keine weiteren Gedanken machen“, entgegnete ich, „aber wenn an einem ruhigen Ort wie diesem zwei Menschen auf die gleiche Weise ermordet werden, macht mich da stutzig.“
„Bei einem Mann wie diesem Syrer“, grübelte Hermes laut „ der allem Anschein nach ein Gauner war, für den der Umgang mit Dieben und schlimmeren Verbrechern zum Alltag gehört ...“
„Worauf willst du hinaus?“
„Um jemanden mit einem Messer zu erstechen, muss man ziemlich nah an ihn herankommen. Der Mann wies keinerlei Spuren der Selbstverteidigung auf. Vermutlich hat er seinen Mörder also gekannt und ihm vertraut.“
„Das ist sehr gut möglich. Aber natürlich könnte es auch Komplizen gegeben haben, die ihn festgehalten haben, während ein anderer ihm das Messer in den Leib gerammt hat. Jetzt nehmen wir uns erst mal seine Geschäftsräume vor.“
Die Geschäftsräume des toten Syrers waren im Erdgeschoss eines zweistöckigen Hauses untergebracht, zwischen einer Taverne und dem Laden eines Wollhändlers. Es handelte sich um zwei nicht besonders große Räume. Der Hauptraum war mit einem langen Tisch, einigen Stühlen und einem kleinen Schreibtisch, auf dem ein hoher wabengemusterter Schriftrollenhalter stand, eingerichtet. An einer Wand standen mehrere runde Lederbehältnisse mit Holzdeckeln, in denen sich weitere Schriftrollen befanden.
Auf dem Boden war ein großer Blutfleck. Da Blutflecken nichts Besonderes sind, beachtete ich ihn nicht weiter. Dafür schenkten ihm die Fliegen umso mehr Aufmerksamkeit. Der hintere Raum war offenbar der Wohnbereich des Mannes gewesen. Er war möbliert mit einem Bett und einem niedrigen Tisch, auf dem eine Waschschüssel und ein großer Krug standen. Daneben lag ein mehr oder weniger sauberes Handtuch. In einer Wandnische, zwischen zwei Lampen, hing das Bild eines östlichen Gottes. In einer Tonschale vordem Bild befand sich noch die Asche eines billigen Räuchermittels. Am Fuß des Bettes stand eine kleine Holztruhe. Ich öffnete sie. Sie enthielt einige Tuniken, einen alten Gürtel, eine spitze Kappe und einen gestreiften Wollumhang. Das war alles. Offenbar hatte der Mann diesen Raum ausschließlich als Schlafzimmer benutzt.
Wir gingen zurück in den Hauptraum und machten uns an die Arbeit. „Nehmt euch vor allem die Papiere vor“, sagte ich. „Wir suchen nach Namen, Listen von unrechtmäßig beschafften Waren, Briefen, nach allem, was uns einen Hinweis darauf geben könnte, wer ihn möglicherweise beseitigt sehen wollte.“
„Einen Hehler?“, fragte einer meiner Männer. „Meinst du,
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