Das Orakel des Todes
durchzuführen. Es gibt doch nichts Besseres, als anstehende Arbeiten zu delegieren. Ich saß wieder auf der kleinen Terrasse, genoss die Morgensonne und wollte gerade einen Brief aus Rom öffnen, als ich lautes Hufgetrappel hörte. Ich blickte auf und sah einen Mann, allem Anschein nach ein Bote, die aus dem Süden kommende Straße hinaufjagen. Damit war mein herrlicher Ruhetag beendet, bevor er auch nur begonnen hatte.
Aber, so tröstete ich mich, es hätte schlimmer kommen können. Ein derart heranjagender Bote aus dem Norden hätte mich in Angst und Schrecken versetzt. Denn das hätte schlechte Neuigkeiten aus Rom bedeutet. Wenig später eilte der Bote die Treppen hoch. „Praetor Metellus?“ Ich bestätigte, dass ich derjenige sei, woraufhin er mir eine lederne Schriftrollentasche überreichte. „Von dem Duumvir Belasus aus Pompeji.“
Ich öffnete die Tasche und schüttelte die Schriftrolle heraus. Während ich las, kam Hermes mit seinem nassen, mit etlichen Knoten versehenen Seil zurück. „Nicht ganz drei Ellen“, berichtete er. „Kürzer als ich dachte. Drei Ellen massiver Fels sind natürlich eine Masse Stein, aber es ist kein Wunder, dass die Anhänger der Hekate dachten, die Apolloverehrer führten irgendetwas im Schilde. Sie müssen jahrelang lautes Schaben und Hämmern gehört haben. Stein leitet den Schall ziemlich gut.“
„Ein weiterer Baustein zur Aufklärung des Rätsels“, stellte ich fest.
„Was hast du da?“
„Eine Nachricht von einem der Duumviri aus Pompeji. Es hat dort einen Mord gegeben, und bei dem Opfer handelt es sich um einen Ausländer.“
„Warum unterrichtet er dich darüber? Du bist für Gerichtsfälle zuständig, in die Ausländer verwickelt sind, aber doch nicht für jeden x-beliebigen Mord, an dem ein Ausländer beteiligt ist, jedenfalls nicht, bevor der Fall vor Gericht landet.“
„Er dachte, es würde mich vielleicht interessieren, weil das Mordopfer, ein Syrer, einen Termin für eine Gerichtsverhandlung hatte. Der Fall sollte während meines Aufenthaltes in Pompeji verhandelt werden. Es sollte die letzte Station meines Aufenthalts in Campania sein.“
„Und du hast sie aufgeschoben, um so lange wie möglich in Campania bleiben zu können, habe ich Recht?“, fragte Hermes und grinste.
„Natürlich.“
„Und? Willst du dir die Sache vor Ort ansehen?“
„Das sollte ich wohl tun. Nebenbei ist es eine gute Gelegenheit, wenigstens für kurze Zeit aus der unmittelbaren Nähe Pompeius' wegzukommen. Trommel ein paar Männer zusammen, und lass sie die Pferde fertig machen! Da ich kein Gericht halten werde, können die Liktoren hier bleiben. Ich brauche auch meine offiziellen Insignien nicht, da wir nur eine Stippvisite machen.“ Ich ging hinein und informierte Julia über meine Absicht. Erwartungsgemäß war sie alles andere als begeistert.
„Du willst bloß hier wegkommen und deinen Spaß haben“, warf sie mir vor.
„Ist dagegen irgendetwas einzuwenden?“
„Es ist würdelos. Du kannst genauso gut Hermes schicken oder einen anderen deiner Männer.“
„Aber dann würde ich mich um meinen Spaß bringen. Ich bin morgen oder übermorgen zurück.“ Und mit diesen Worten machte ich mich aus dem Staub, bevor sie weitere Einwände erheben konnte.
Zu Pferd und ohne die übliche Gefolgschaft im Schlepptau brauchten wir nur wenige Stunden nach Pompeji. Der Ritt auf einer ausgezeichneten Straße, im Schatten stattlicher Pinien, war eine angenehme Abwechslung.
Pompeji war eine jener oskischen Städte, die einst Teil des samnitischen Einflussbereichs gewesen waren, im Bundesgenossenkrieg die falsche Seite unterstützt hatten und schließlich von Sulla bezwungen worden waren. Nach dem Krieg waren in Pompeji zahlreiche Veteranen angesiedelt worden, inzwischen hatte die Stadt den Status einer Colonia. Die lateinische Sprache hatte die früheren oskischen Dialekte zusehends verdrängt, und inzwischen waren die Bewohner Pompejis römische Bürger, die einzig vernünftige Daseinsform.
Wir näherten uns Pompeji von Nordwesten, doch anstatt die Stadt durch eines der nördlichen Tore zu betreten, umrundeten wir sie Richtung Osten und ritten die Mauer entlang, bis wir die südöstliche Ecke erreichten, wo gerade ein gewaltiges Bauvorhaben im Gange war. Ich hatte bereits davon gehört und wollte es unbedingt sehen. Es handelte sich um ein steinernes Amphitheater, eine architektonische Neuerung, die in Campania ihren Ursprung hatte. Im Wesentlichen bestand es aus zwei
Weitere Kostenlose Bücher