Das Orakel des Todes
konnte ich allein in dieser Gegend zehn Legionen aufstellen, tapfere junge Bauern, die ganz erpicht darauf waren, in einem ordentlichen Krieg zu kämpfen. Die meisten von ihnen musste ich wieder nach Hause schicken, weil es nie genügend Waffen für all die Freiwilligen gab.“
„Vielleicht ahnen sie, dass ein Bürgerkrieg wenig Beute verspricht“, gab ich zu bedenken. „Außerdem gibt es ja heutzutage kaum noch Bauern. Die Latifundien werden von Sklaven bewirtschaftet, nicht von Bauern, und im südlichen Italia gibt es fast nur noch Latifundien.“
„Und wenn schon, ich hätte trotzdem mehr Freiwillige zusammenbekommen müssen.“ Er schüttelte unwirsch den Kopf. „Hast du herausgefunden, wer dich mit dem Pfeil durchbohrt hat? „
Jetzt war es an mir, den Kopf zu schütteln. „Falls es jemand weiß, schweigt er.“
„Vielleicht steckt einfach nur ein einheimischer Hitzkopf dahinter, vielleicht ein Samnite, der auf der Jagd war die Chance gewittert hat, einen römischen Praetor zu töten ohne dafür belangt zu werden. Seit dem Bundesgenossenkrieg gibt es viele Verbitterte in dieser Gegend.“
Das glaube ich nicht. Ich habe mich bei einigen Leuten hier sehr unbeliebt gemacht. Sie wollen meiner Ermittlung ein Ende setzen, und die einfachste Art, das zu erreichen, ist, mir ein Ende zu setzen.“
„Vielleicht solltest du einfach aufgeben, deine Sachen packen und mit deinem Gericht nach Ligurien oder sonst wohin ziehen.“
Ich war sofort misstrauisch. „Vor ein paar Tagen wolltest du noch, dass ich die Mörder finde, und zwar schnell.“ „Vor ein paar Tagen hatte auch noch niemand versucht, dich umzubringen. Worum auch immer es bei dieser Geschichte geht - sie ist es nicht wert, das Leben eines wichtigen Römers aufs Spiel zu setzen und erst recht nicht das Leben eines Mannes, den ich womöglich bald brauchen werde.“
Er nahm also an, weil meine Familie in sein Lager gewechselt war, würde auch ich ihn unterstützen. Ich hielt es für ratsam, ihn fürs Erste in diesem Glauben zu belassen. „Eigentlich hatte ich eher an Sicilia gedacht.“
„Eine schöne Gegend“, kommentierte er. „Gutes Klima und keine aufsässigen Einheimischen. Natürlich ist Sicilia schon gründlich ausgeplündert worden, aber du könntest es weitaus schlimmer treffen. Ich kann dir Sicilia wärmstens empfehlen.“
Wir plauderten noch eine Weile über dies und das, dann trocknete ich mich ab und kehrte zur Villa zurück. Am nächsten Morgen taten mir sämtliche Knochen weh, und ich hatte einen schlimmen Muskelkater, doch ich zwang mich, den langen Marsch zur Palaestra erneut auf mich zu nehmen, und auch an den folgenden Tagen überwand ich meinen inneren Schweinehund. In erstaunlich kurzer Zeit rannte ich, ohne zu keuchen, schleuderte den Speer direkt ins Ziel, und beim Übungskampf mit den Holzschwertern traf ich Hermes beinahe genauso häufig wie er mich. Bevor ich mich versah, war ich nahezu in Bestform, und meine Wunde tat fast nicht mehr weh. Julia schien mit mir zufrieden.
„Ich habe dich seit Jahren nicht mit so gesunder Gesichtsfarbe und in so guter körperlicher Verfassung gesehen“, stellte sie fest. „Und seitdem du nicht mehr so viel Wein trinkst, strahlen deine Augen wie lange nicht mehr.“
„Mir war gar nicht bewusst, wie sehr ich mich habe gehen lassen“, gestand ich. Manchmal war es ratsam, Julia Recht zu geben. „Dem Tod soeben noch von der Schippe gesprungen zu sein, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine ernüchternde Erfahrung.“
Meine Verwundung hatte einen Vorteil: Sie lieferte mir einen willkommenen Vorwand, länger als geplant in Campania zu bleiben. Es kam der Tag, an dem Baiae das jährliche Fest zu Ehren eines der lokalen Götter feierte. Er galt als der örtliche Bacchus, und bei der Feier in Baiae ging es angeblich noch wilder zu als bei den Festivitäten zu Ehren des römischen Weingottes. Da der von den Einheimischen verehrte Gott einige Merkmale des Dionysos aufwies, war ich sehr gespannt, was seine Anhänger sich für die Feierlichkeiten hatten einfallen lassen. Ich gab meinen Liktoren den Tag frei und machte mich mit Julia und etlichen Mitgliedern unseres Gefolges auf den Weg in die Stadt.
Die Straße war überfüllt, denn sämtliche Bewohner des Umlandes und der nahe gelegenen Städte strömten nach Baiae. Viele waren mit Kränzen aus Weinblättern geschmückt, einige trugen Thyrsi, mit Weinlaub umwundene und von Pinienzapfen gekrönte Stäbe. Wir erreichten Baiae am späten
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