Das Orakel des Todes
ich Julia von meinen neuesten Erkenntnissen und meinem Verdacht. Außerdem unterbreitete ich ihr, wie ich die Sache zum Abschluss bringen wollte, damit wir endlich nach Sicilia aufbrechen konnten.
„Wie niederträchtig!“, empörte sie sich. „Die Leute mit einem falschen Orakelspruch irrezuleiten, um sie anschließend auszurauben und zu ermorden!“ Sie dachte eine Weile, darüber nach. „Aber besonders häufig konnten sie das sicher nicht tun, oder? Wie oft legen hier schon Geschäftsleute mit einem Haufen Geld in der Tasche einen Zwischen stopp ein, um anschließend ins Ausland weiterzureisen?“
„Öfter als du denkst. Leute, die ins Ausland reisen, suchen häufig ein Orakel auf, um den Beistand der Götter zu erbitten. Wir wissen nicht, ob die Täter in Übersee Komplizen haben oder ob sie ihre Opfer verfolgen und außerhalb Italias ermorden, wo sie die Leichen dann entsorgen. Außerdem glaube ich, dass dies nur ein Teil ihrer kriminellem Machenschaften ist.“
„Was für finstere Dinge treiben sie denn noch, deiner Meinung nach?“
„In Campania wimmelt es nur so von Durchreisenden. Die Morde im Ausland müssen aufwändig und schwer durchzuführen gewesen sein. Ich glaube, dass sie auf diese Methode nur zurückgegriffen haben, wenn sie Einheimische ausrauben wollten. Wenn sie sie hier umgebracht hätten, wäre der Verdacht natürlich schnell auf Leute aus der Orakel gefallen. Es hätte nicht lange gedauert, bis jemandem aufgefallen wäre, dass die Vermissten zum letzten Mal in der Orakelkammer der Hekate lebend gesehen wurden. Nein, das Risiko, Einheimische zu ermorden, konnten sie nur eingehen, wenn diese sich außerhalb Campanias aufhielten, am besten sogar außerhalb Italias.
Aber es kommen ja auch jede Menge Leute aus anderen Teilen Italias und aus dem Ausland hierher, um das Orakel konsultieren. Sie sind weit von zu Hause weg, haben hier weder Freunde noch Verwandte, bis sie als vermisst gelten, zieht einige Zeit ins Land, und wer erinnert sich noch daran, dass sie das letzte Mal in der Kammer des Orakels lebend gesehen wurden?“
Julia dachte eine Weile über meine Worte nach. „Aber wie konnten die Mörder sicher sein, dass diese Leute keine Verbindung zu Einheimischen hatten, die plötzlich aufkreuzen und peinliche Fragen stellen könnten?“
„Sie hatten Sklaven, die sich unter die Ratsuchenden mischten, während diese auf ihren Besuch des Orakels warteten. Ohne es zu merken, gaben die Leute wichtige Informationen preis. Ich sage nicht, dass die Bande jeden Tag zuschlug. Die Bedingungen mussten perfekt sein, das war eine unerlässliche Voraussetzung. Wenn der Andrang zu groß war, ging gar nichts. Aber wie wir wissen, suchen an manchen Tagen nur ein oder zwei Besucher den Rat des Orakels. Sobald die Voraussetzungen stimmten, wurden die Opfer mit einer falschen Weissagung in die Irre gelockt oder direkt dort unten in der Kammer des Orakels ermordet. Ich vermute, sie haben ihnen den Schädel eingeschlagen oder sie stranguliert. Blut lässt sich nur schlecht von dem groben Stein entfernen.“
„Und wie haben sie die Leichen beseitigt?“, fragte Julia. „Wenn sie ihre Opfer in Übersee oder auf dem Meer ermordet haben, mussten sie sich darüber jedenfalls keine Gedanken machen. Ohne Leiche keine Erklärungsnot.“
„Ganz einfach“, entgegnete ich. „Vor ein paar Tagen wäre ich ja zufällig selber um ein Haar beseitigt worden.“ „Der Fluss? Was für ein grauenhafter Tod! Stell dir vor, dein Körper landet einfach so unter der Erde, ohne die erforderlichen Bestattungsriten! „ Sie schüttelte sich vor Entsetzen.
„Sie wurden samt ihrer Kleidung und mit allem Drum und Dran entsorgt. Im nächsten Augenblick konnte niemand mehr ihr Verschwinden mit den Priestern und Priesterinnen der Hekate in Verbindung bringen. Aber sie waren nicht immer gründlich genug. Bei unserer Untersuchung der Kammer haben wir einen Stilus, eine Sandale, eine knöcherne Haarnadel und eine Halskette aus ägyptischen Perlen gefunden. Die Opfer müssen diese Dinge verloren haben, als ihre Leichen unter Wasser gedrückt wurden, damit die Strömung sie mitnahm.“
„Wie lange das wohl schon geht?“, fragte Julia. „Das Orakel ist schon seit Jahrhunderten hier ansässig.“
„Noch nicht allzu lange, glaube ich. Ich vermute sogar, die kriminelle Operation läuft erst seit ein paar Jahren. An der Decke des Belüftungstunnels war kaum Ruß.“
„Du bist ein aufmerksamer Beobachter. Aber warum und wie
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