Das Orakel vom Berge
Teil des Planeten wird vernichtet werden und seine Bevölkerung mit ihm und das Ganze für ein krankes, fanatisches Ideal.
Und wenn ihn am Ende die Nazis ganz zerstören? Eine sterile Aschekugel daraus machen? Das könnten sie; sie haben die Wasserstoffbombe. Und kein Zweifel, daß sie es auch tun würden; ihr Denken neigt zu der Vorstellung jener Götterdämmerung. Vielleicht ersehnen sie sogar, suchen sie aktiv eine letzte, alles verzehrende Katastrophe für alle.
Und was wird dann übrigbleiben nach jenem dritten Weltwahnsinn? Wird damit das Leben enden, Leben jeder Art und überall? Werden wir mit eigenen Händen aus unserem Planeten einen toten Planeten machen?
Er konnte es nicht glauben. Selbst wenn alles Leben auf unserem Planeten zerstört würde, muß es woanders noch Leben geben, Leben, von dem wir nichts wissen. Es ist unmöglich, daß die unsere die einzige Welt ist; es muß unzählige Welten geben, Welten, die wir nicht sehen, in irgendeiner Region oder Dimension, die wir nicht wahrzunehmen vermögen. Obwohl ich das nicht beweisen kann, obwohl es nicht logisch ist – ich glaube es, sagte er zu sich.
Ein Lautsprecher sagte: »Meine Damen und Herren. Achtung bitte.«
Der Augenblick der Landung naht, sagte sich Hauptmann Wegener. Zweifellos wird der Sicherheitsdienst mich erwarten, dachte er. Die Frage ist: Welche Partei wird es sein? Die Goebbelsgruppe? Oder die von Heydrich? Immer in der Annahme, daß General Heydrich noch lebt. Vielleicht hat man ihn, während ich an Bord dieser Rakete flog, verhaftet und erschossen. In einer totalitären Gesellschaft geschehen die Dinge in einer Übergangsperiode schnell. In Nazideutschland hat es immer schon Namenslisten gegeben, über die gar mancher gebrütet hat…
Wenige Minuten später war die Rakete gelandet, und er ging mit dem Mantel auf dem Arm auf den Ausgang zu. Hinter ihm und vor ihm verängstigte Passagiere. Kein junger Nazikünstler dieses Mal, überlegte er. Kein Lotze mit seinen verschrobenen Ideen.
Ein uniformierter Beamter der Fluggesellschaft – wie der Reichsmarschall selbst gekleidet, überlegte Wegener – half ihnen, einem nach dem anderen die Rampe hinunter auf das Flugfeld. Und dort an der Rampe stand eine kleine Gruppe von Schwarzhemden. Für mich? Wegener ging langsam von der Rakete weg. An einer anderen Stelle standen Männer und Frauen, warteten, winkten, riefen… sogar einige Kinder.
Einer der Schwarzuniformierten, ein blonder Bursche mit ausdruckslosem Gesicht und den Insignien der Waffen-SS, trat auf Wegener zu, knallte die Hacken seiner Schaftstiefel zusammen und salutierte.
»Entschuldigen Sie. Sind Sie Hauptmann Rudolf Wegener von der Abwehr?«
»Nein«, antwortete er. »Ich bin Conrad Goltz von der IG-Farben.« Er schickte sich an, weiterzugehen.
Zwei weitere Schwarzhemden, ebenfalls Waffen-SS, kamen auf ihn zu. Die drei gingen neben ihm her, so daß er, obwohl er weder die Richtung noch das Tempo änderte, praktisch jetzt unter Bewachung stand. Zwei der Waffen-SS-Männer hatten Maschinenpistolen unter den Mänteln.
»Sie sind Wegener«, sagte einer von ihnen, als sie das Gebäude betraten.
»Wir haben einen Wagen hier«, fuhr der Waffen-SS-Mann fort. »Wir haben Anweisung, Sie hier zu empfangen und Sie sofort zu SS-General Heydrich zu bringen, der sich mit Dietrich im OKW der Division Leibstandarte befindet. Wir dürfen nicht zulassen, daß Angehörige der Wehrmacht oder der Partei mit Ihnen Verbindung aufnehmen.«
Also wird man mich nicht erschießen, sagte sich Wegener. Heydrich lebt und befindet sich an einem sicheren Ort und versucht, seine Position gegen die Goebbelsregierung zu verstärken.
Vielleicht wird die Regierung Goebbels doch noch stürzen, dachte er, als man ihn in den wartenden SS-Mercedes drängte. Eine Abteilung Waffen-SS, die man in der Nacht plötzlich verlegte; Wachablösung in der Reichskanzlei, die Berliner Polizeistationen speien plötzlich nach allen Richtungen bewaffnete SD-Leute aus – Radiostationen besetzt, Kraftwerke abgeschnitten, Tempelhof geschlossen. Das poltern schwerer Kanonen in der Finsternis auf den Hauptstraßen.
Aber was hat es zu bedeuten? Selbst wenn Dr. Goebbels abgesetzt und die Operation Löwenzahn gestrichen wird? Es wird sie immer noch geben, die Schwarzhemden, die Partei, die Pläne, wenn nicht im Orient, dann irgendwo sonst auf dem Mars und der Venus. Kein Wunder, daß Mr. Tagomi nicht weiterwußte, dachte er. Das schreckliche Dilemma unseres Lebens. Was auch
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