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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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machte es sich in dem Hotelzimmer bequem, schaltete das Radio ein und holte sich Kaffee aus der Schnellküche des Motels. Dann setzte sie sich auf dem frisch gemachten Bett mit der neuen, noch unberührten Kopie von Die Heuschrecke zurecht.
    Um sechs Uhr fünfzehn abends beendete sie das Buch.
    Ob Joe es wohl bis zum Ende gelesen hat, fragte sie sich. Es steht so viel mehr drin, als er verstand. Was wollte Abendsen wirklich sagen? Nichts über seine Scheinwelt. Bin ich die einzige, die es weiß? Ich möchte wetten, daß es so ist; niemand außer mir versteht Die Heuschrecke richtig. Sie bilden es sich bloß ein.
    Immer noch etwas benommen, verstaute sie das Buch in ihrem Koffer und zog dann den Mantel an und suchte ein Lokal, um dort zu Abend zu essen. Die Luft roch gut, und die Lichter und Leuchtreklamen von Cheyenne schienen besonders erregend. Vor einer Bar stritten zwei hübsche, schwarzäugige, indianische Prostituierte. Sie fuhr etwas langsamer, um zuzusehen. Viele Wagen, hauptsächlich solche neueren Baujahrs, fuhren die Straßen auf und ab.
    In einem teuren französischen Restaurant – wo ein Mann in einer weißen Jacke die Wagen der Kunden parkte – aß sie zu abend.
    Dann fuhr sie langsam zum Hotel zurück. Ihre Reichsbanknoten waren bereits dahin. Aber das machte ja nichts aus – das war nicht wichtig. Er hat uns von unserer eigenen Welt erzählt, dachte sie, als sie die Tür zu ihrem Motelzimmer auf schloß. Das ist es, was jetzt um uns ist.
    Im Zimmer schaltete sie wieder das Radio ein. Er möchte, daß wir sie so sehen, wie sie ist. Und ich kann das jetzt, jeden Augenblick mehr.
    Sie holte das blaue italienische Kleid aus dem Karton und legte es sorgfältig auf dem Bett aus. Es hatte keinen Schaden gelitten; man mußte es nur etwas bürsten. Aber als sie die anderen Pakete öffnete, stellte sie fest, daß sie keinen der neuen Halb-BHs aus Denver mitgebracht hatte. »Verdammt noch mal«, sagte sie und ließ sich in einen Stuhl sinken. Sie zündete sich eine Zigarette an und rauchte eine Weile.
    Vielleicht sollte sie einen gewöhnlichen BH dazu tragen. Sie zog die Bluse und den Rock aus und probierte das Kleid. Aber die Träger waren sichtbar und auch die obere Hälfte der Körbchen. Das ging also nicht. Vielleicht kann ich auch ganz ohne BH gehen… Seit sie das zuletzt versucht hatte, waren Jahre verstrichen… Das erinnerte sie an die alte Zeit auf der Oberschule; sie hatte damals einen sehr kleinen Busen gehabt und sich sogar deshalb Sorgen gemacht. Aber die Jahre und der Judosport hatten ihr geholfen. Sie stieg auf den Stuhl im Bad, um sich im Spiegel des Medizinschränkchens zu betrachten.
    Das Kleid saß phänomenal. Aber, großer Gott, es war etwas zu riskant. Sie brauchte sich bloß nach vorne zu beugen, um eine Zigarette auszudrücken oder sich ein Glas zu nehmen – und die Katastrophe war da.
    Eine Nadel! Sie konnte das Kleid ohne BH tragen und es vorne zusammenstecken. Sie kippte den Inhalt ihrer Schmuckschatulle auf das Bett und breitete die Nadeln aus, Andenken, die sie seit Jahren besessen hatte, die Frank ihr gegeben hatte, oder andere Männer vor ihrer Ehe, und die neue, die Joe ihr in Denver gekauft hatte. Ja, eine kleine Silbernadel aus Mexico in Form eines Pferdes würde passen. Sie fand die richtige Stelle. So konnte sie das Kleid also doch tragen.
    Als sie mit der Toilette fertig war und ihr Haar so gebürstet hatte, daß es knisterte, schlüpfte sie in ihren neuen Mantel und ließ sich – statt mit ihrem alten Studebaker zu fahren – vom Motel ein Taxi bestellen. Während sie in der Halle auf den Wagen wartete, hatte sie plötzlich das Gefühl, Frank anrufen zu müssen. Warum eigentlich?
    Sie kam nicht dahinter, aber die Idee war da.
    Und warum nicht, fragte sie sich. Sie konnte ihn ja für das Gespräch bezahlen lassen, ein R - Gespräch; er würde sich freuen, ihre Stimme zu hören, und mit Vergnügen bezahlen.
    Hinter dem Schreibtisch in der Rezeption des kleinen Motels stehend, hielt sie sich den Hörer ans Ohr und hörte der Vermittlung zu, wie sie versuchte, die Verbindung für sie herzustellen. Sie konnte das Fräulein vom Amt in San Francisco hören, konnte hören, wie sie sich bei der Auskunft nach der Nummer erkundigte, dann ein Knacken und Tuten und schließlich das Klingeln. Während sie wartete, daß Frank sich meldete, schaute sie zum Fenster hinaus, ob das Taxi käme; es sollte eigentlich jeden Augenblick da sein, dachte sie. Aber es wird dem Fahrer auch nichts

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