Das Orakel vom Berge
Mag sein, daß dort ‘ne Menge gebaut wird und viel Geld ‘rumliegt, aber das ist bloß, weil sie es von den Juden gestohlen haben, als sie sie aus New York rausgejagt haben. Dieses gottverdammte Nazi-Nürnbergergesetz. Ich hab als Kind in Boston gelebt und hab wirklich für die Juden nichts übrig, aber ich hätt’ nie gedacht, daß in den USA dieses Nazirassengesetz durchkommt, selbst wenn wir den Krieg verloren haben. Ich bin überrascht, daß ihr nicht beim Militär der USA seid, um irgendeine kleine südamerikanische Republik zu überfallen als Vorhut für die Deutschen, damit sie die Japaner wieder ein Stück weiter zurücktreiben können.«
Beide Fahrer waren aufgestanden. Ihre Gesichter waren verzerrt. Der Ältere nahm eine Ketchupflasche von der Theke und hielt sie wie eine Keule in der Hand. Und der Koch griff, ohne sich umzusehen, hinter sich, bis er eine Fleischgabel in der Hand hielt.
Und Juliana sagte: »Denver bekommt jetzt eine hitzegeschützte Landebahn, damit die Lufthansaraketen dort landen können.«
Keiner der drei Männer rührte sich oder sagte ein Wort. Die anderen Kunden saßen stumm da.
Schließlich meinte der Koch: »Eine ist vor ‘ner Stunde hier drübergeflogen.«
»Aber nicht nach Denver«, sagte Juliana. »Die flog zur Küste.«
Die beiden Fahrer setzten sich langsam wieder hin, und der ältere von ihnen murmelte: »Ich vergess’ das immer wieder; hier draußen sind die ‘n bißchen feige.«
Und der Koch sagte: »Die Japs haben keine Juden umgebracht. Im Krieg nicht und nachher auch nicht. Und Gaskammern haben die Japs auch nicht gebaut.«
»Schade, daß sie es nicht getan haben«, sagte der ältere Fernfahrer. Und dann griff er nach seiner Tasse und fing wieder zu essen an.
Feige, dachte Juliana. Ja, wahrscheinlich stimmt das. Wir mögen die Japs hier draußen.
»Wo wohnen Sie denn?« fragte Juliana den jüngeren Fernfahrer. »Heut nacht, meine ich.«
»Weiß nicht«, brummte der. »Bin grad erst aus meinem Wagen gestiegen. Ich mag diesen Staat nicht. Vielleicht schlaf ich im Wagen.«
»Das Honey Bee Motel ist nicht schlecht«, meinte der Koch.
»Okay«, meinte der Mann. »Vielleicht bleibe ich dort. Falls es denen nichts ausmacht, daß ich Italiener bin.« Er hatte einen ausgeprägten Akzent, obwohl er sich bemühte, ihn zu verbergen.
Juliana sah ihn an und dachte, ich bin genauso. Ich hätte es an der Westküste nicht ausgehalten. Und hier werde ich es nach einiger Zeit auch nicht mehr aushalten. Früher wäre ich in den wilden Westen gezogen, aber den gibt’s heute nicht mehr. Heut ist die Grenze nicht mehr der Westen, sondern die anderen Planeten.
Und dann dachte sie: Wir beide könnten ja mit einer Rakete zu den Kolonien fliegen. Aber die Deutschen würden uns nicht mitnehmen – ihn wegen seiner Haut und mich wegen meiner schwarzen Haare. Diese blassen, dürren nordischen SS-Schwulen in den Trainingsburgen in Bayern. Dieser Bursche – Joe heißt er – hat nicht einmal den richtigen Gesichtsausdruck; er müßte so aussehen, als glaubte er an nichts und hätte doch den absoluten Glauben. Ja, so sind die. Das sind keine Idealisten wie Joe und ich, das sind Zyniker mit absolutem Glauben. Eine Art Hirndefekt wie eine Lobotomie – wie es diese deutschen Psychiater anstelle von Psychotherapie bei den armen Teufeln machen.
Ihre Schwierigkeit liegt im Sex, entschied sie; in den dreißiger Jahren haben die irgend etwas Schmutziges damit gemacht, und es ist noch schlimmer geworden. Hitler hat damit angefangen mit seiner – was war sie eigentlich? Seine Schwester? Tante? Nichte? Und seine Familie war ohnehin schon ein Produkt von Inzucht; seine Mutter und sein Vater waren Vettern. Sie alle begehen Inzest, das geht zurück auf die Ursünde des Begehrens nach der eigenen Mutter. Deshalb haben diese Eliteschwulen von der SS auch diese blonde babyhafte Unschuld; sie sparen sich alle für Mama auf. Oder füreinander.
Und wer ist Mama für sie? fragte sie sich. Der Führer? Herr Bormann, der, wie es heißt, im Sterben liegt? Oder – der Kranke.
Der alte Adolf, von dem es hieß, daß er in einem Sanatorium lebt, irgendwo, dem Tode entgegensieht. Syphilis aus den Tagen seiner Armut in Wien… langer schwarzer Mantel, schmutzige Unterwäsche, Absteigen.
Offenbar war das wie die Rache Gottes aus irgendeinem alten Stummfilm. Dieser schreckliche Mann, den irgendein innerer Schmutz niedergeschlagen hat, die historische Pestilenz, die Strafe für die Bosheit der
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