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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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prunkvollen Staatsbegräbnis in München gehört. Die sangen immer wieder ›lch hatt’ einen Kameraden‹. Jetzt ist die Leiche aufgebahrt, damit alle Getreuen sie sehen können.«
    »Ja, das war eine schlimme Nachricht«, sagte Robert Childan.
    »In der Nippon Times steht heute, nach verläßlichen Quellen stehe B. von Schirach unter Hausarrest«, meinte Betty. »Auf Befehl des SD.«
    »Schlimm«, sagte Paul und schüttelte den Kopf.
    »Die Behörden sind zweifellos darauf bedacht, die Ruhe zu bewahren«, sagte Childan. »Von Schirach ist für übereilte, nicht ganz durchdachte Beschlüsse und Handlungen bekannt. Ähnlich, wie früher Rudolf Hess. Ich erinnere mich noch an seinen verrückten Flug nach England.«
    »Was hat die Nippon Times denn sonst noch berichtet?« fragte Paul seine Frau.
    »In Deutschland scheint völliges Durcheinander zu herrschen. Truppenverlegungen, Polizeieinsätze. Jeder Urlaub ist gestrichen. Die Grenzen sind abgesperrt. Der Reichstag ist einberufen. Alle möglichen Reden.«
    »Das erinnert mich an eine schöne Rede, die ich von Dr. Goebbels hörte«, sagte Robert Childan. »Vielleicht vor einem Jahr, im Radio. Sehr witzig. Er hatte seine Zuhörer wie üblich fest in der Hand. Für mich gibt es keinen Zweifel: Seit Adolf Hitler sich zurückgezogen hat, ist Dr. Goebbels der beste Redner, den die Nazis haben.«
    »Stimmt«, pflichteten Paul und Betty ihm bei.
    »Dr. Goebbels hat auch eine schöne Frau und Kinder«, fuhr Childan fort. »Wirklich großartige Leute.«
    »Richtig«, gaben Paul und Betty ihm erneut recht. »Ein Mann mit einem intakten Familienleben im Gegensatz zu den meisten anderen Großfürsten dort drüben«, sagte Paul. »Deren sexuelle Sitten sind manchmal etwas zweifelhaft.«
    »Ich würde von diesen Gerüchten nicht viel halten«, wandte Childan ein. »Sie beziehen sich wohl auf Vorfälle wie diese Sache mit Rohm? Das ist lange her. Inzwischen ist da Abhilfe geschaffen.«
    »Ich denke mehr an Hermann Göring«, sagte Paul und nahm wieder einen Schluck aus seinem Glas. »Man hört da alle möglichen Geschichten von Orgien wie im alten Rom. Es läuft mir schon beim Hören ganz kalt über den Rücken.«
    »Alles Lügen«, sagte Childan.
    »Nun, es ist nicht wert, daß man darüber spricht«, meinte Betty taktvoll und sah die beiden Männer an.
    Sie hatten ihre Gläser geleert, und sie ging an die Bar, um sie wieder aufzufüllen.
    »Die politischen Diskussionen verlaufen immer sehr hitzig«, sagte Paul. »Wohin man auch geht. Man muß seinen Kopf behalten.«
    »Ja«, pflichtete Childan ihm bei. »Ruhe und Ordnung. Damit die Dinge wieder zur gewohnten Stabilität zurückkehren.«
    »Die Periode nach dem Tode eines Führers ist in totalitären Gesellschaften kritisch«, sagte Paul. »Das Fehlen von Tradition und die Institutionen der Mittelklasse vereinen sich…«, er unterbrach sich. »Vielleicht sollten wir besser nicht von Politik sprechen.« Er lächelte. »Wie in den Tagen meiner Studentenzeit.«
    Robert Childan spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Er beugte sich über sein Glas, um den Blicken seiner Gastgeber auszuweichen. Wie hatte er doch den ganzen Anfang verpatzt! Dumm und mit großer Lautstärke hatte er über Politik argumentiert; es war unhöflich gewesen zu widersprechen, und nur der Takt seiner Gastgeber hatte den Abend gerettet. Ich muß noch viel lernen, dachte Childan. Sie sind so ausgeglichen, so höflich. Und ich – der weiße Barbar. Es stimmt schon.
    Eine Zeitlang begnügte er sich, an seinem Glas zu nippen und einen gespielten Ausdruck von Zufriedenheit zur Schau zu stellen. Ich muß mich ihnen ganz anschließen, sagte er sich. Ihnen immer beipflichten.
    Und doch dachte er in einer Art Panik – mein Verstand ist von dem Drink verwirrt. Und der Ermüdung und der Nervosität. Kann ich es tun? Man wird mich nie wieder einladen; es ist bereits zu spät. Er spürte die Verzweiflung.
    Betty war inzwischen in die Küche gegangen und wieder zurückgekehrt. Sie saß wieder neben ihm auf dem Teppich. Wie attraktiv, dachte Robert Childan aufs neue. Schlank. Sie sind so elegant, so überlegen, keine Spur von Fett. Die brauchen weder ein Korsett noch einen Büstenhalter. Ich muß meine Begierde unterdrücken; unbedingt unterdrücken. Und doch warf er ihr immer wieder verstohlene Blicke zu. Die zarte dunkle Haut, das Haar, die Augen. Verglichen mit ihnen wirken wir nur halb ausgebacken. Man hat uns aus dem Ofen genommen, ehe wir fertig waren. Die alte

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