Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
Vom Netzwerk:
das ist jetzt vorbei.«
    »Sie werden behaupten, nichts davon zu wissen«, sagte Mr. Baynes. »Das ist die übliche Taktik. Man hat sie schon zahllose Male benutzt.« Er legte die Schalldämpferpistole auf Mr. Tagomis Schreibtisch. »Made in Japan.«
    Das war kein Witz. Eine japanische Zielpistole von hervorragender Qualität. Mr. Tagomi untersuchte sie.
    »Auch keine deutschen Staatsbürger«, sagte Mr. Baynes. Er hatte einem der Weißen, dem Toten, die Brieftasche abgenommen. »Bürger der PSA. Lebt in San Jose. Keinerlei Verbindung mit dem SD. Der Name ist Jed Sanders.« Er warf die Brieftasche weg.
    »Ein ganz gewöhnlicher Überfall«, sagte Mr. Tagomi. »Das Motiv: unser Safe. Keinerlei politische Aspekte.« Er stand etwas benommen auf. Ob ihm wohl das Orakel jetzt etwas nutzen würde? Vielleicht konnte es sie schützen. Sie warnen, seinen Rat wie einen Schild über sie halten.
    Immer noch etwas benommen nahm er die neunundvierzig Halme heraus. Die ganze Lage konfus und ungewöhnlich, entschied er. Menschliche Intelligenz konnte sie nicht durchschauen; nur fünftausend Jahre alte Weisheit. Die totalitäre deutsche Gesellschaft gleicht einem kranken Lebewesen.
    Aber das Orakel wird es durchschauen. Dem I Ching ist selbst eine Mißgeburt wie Nazideutschland verständlich.
    Mr. Baynes, der Mr. Tagomi zusah, erkannte, wie tief verstört der Mann war. Für ihn, dachte Mr. Baynes, ist dieser Zwischenfall, der dazu führte, daß er diese beiden Männer töten, beziehungsweise verstümmeln mußte, nicht nur schrecklich, sondern sogar unerklärlich.
    General Tedeki war neben ihn getreten und sagte mit leiser Stimme: »Sie sehen, wie verzweifelt der Mann ist. Wissen Sie, er ist zweifellos als Buddhist erzogen worden. Und selbst, wenn er keine formelle buddhistische Erziehung mitgemacht hat, war der Einfluß jedenfalls da. Eine Kultur, in der kein Leben genommen werden darf; jedes Leben ist geheiligt.«
    Mr. Baynes nickte.
    »Er wird sein Gleichgewicht wiedergewinnen«, fuhr General Tedeki fort. »Nach einer Weile. Im Augenblick besitzt er keinen Standpunkt, von dem aus er diesen Akt betrachten und begreifen kann. Das Buch wird ihm helfen, weil es einen äußeren Bezugsrahmen liefert.«
    »Ich verstehe«, sagte Mr. Baynes. Und dachte: Ein anderer Bezugsrahmen, der ihm helfen könnte, wäre die Doktrin der Erbsünde. Ob er wohl je davon gehört hat? Wir sind alle dazu verdammt, Grausamkeiten oder Gewalttaten oder Böses zu begehen; das ist unsere Bestimmung, seit der grauen Vorzeit. Unser Karma.
    Um ein Leben zu retten, mußte Mr. Tagomi zwei Leben nehmen. Der logische, ausgeglichene Verstand begreift das nicht. Ein freundlicher Mann wie Mr. Tagomi konnte von den Implikationen einer solchen Wirklichkeit in den Wahnsinn getrieben werden.
    Und dennoch, dachte Mr. Baynes, liegt der entscheidende Punkt nicht in der Gegenwart, weder in meinem Tode noch dem Tode der beiden SD-Männer; er liegt – hypothetisch – in der Zukunft. Was hier geschehen ist, wird von dem, was später geschieht, gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt. Können wir vielleicht das Leben von Millionen, das Leben ganz Japans retten?
    Aber der Mann mit den Halmen konnte nicht daran denken; für ihn war die Gegenwart, das Aktuelle, zu greifbar, die toten und sterbenden Deutschen, die in seinem Büro lagen.
    General Tedeki hatte recht; die Zeit würde dafür sorgen, daß Mr. Tagomi die Dinge wieder richtig sah. Entweder das, oder er würde sich ganz in die Schatten der Geistesgestörtheit zurückziehen, seinen Blick für immer abwenden, hoffnungslos perplex. Und wir alle sind nicht anders als er, dachte Mr. Baynes. Wir sehen uns derselben Verwirrung gegenüber. Deshalb können wir unglücklicherweise Mr. Tagomi keine Hölle liefern. Wir können nur warten und hoffen, daß er sich am Ende erholen und nicht untergehen wird.

13
     
     
    In Denver fanden sie schicke und moderne Läden. Juliana fand, daß die Kleidung schrecklich teuer war. Joe schien das nichts auszumachen, er schien es nicht einmal zu bemerken; er zahlte einfach, was sie auswählte, und dann eilten sie zum nächsten Geschäft.
    Ihr wichtigster Kauf – nachdem sie eine ganze Anzahl Kleider anprobiert und darüber nachgedacht und sie schließlich abgelehnt hatte – kam ziemlich spät am Nachmittag: ein blaues italienisches Originalkleid mit kurzen Ärmeln und einem aufregend tiefen Dekollete. Sie hatte in einer europäischen Modezeitung ein Modell gesehen, das ein solches Kleid trug;

Weitere Kostenlose Bücher