Das Orakel vom Berge
holte eine Teakkassette hervor, der er einen perfekt erhaltenen Colt . 44 aus dem Bürgerkrieg der USA entnahm, ein wertvolles Sammlerstück. Er holte eine Schachtel mit Pulver, Kugeln und Zündhütchen hervor und begann den Revolver zu laden. Mr. Baynes und General Tedeki sahen ihm mit geweiteten Augen zu.
»Ein Teil meiner persönlichen Sammlung«, sagte Mr. Tagomi. »Ein kindliches Vergnügen, das ich mir gestattet habe.« Er richtete die Waffe auf seine Bürotür und wartete.
Frank Frink saß an der Schleifscheibe in ihrer Kellerwerkstätte. Er hielt einen halb fertiggestellten silbernen Ohrring gegen die schnellkreisende Schwabbelscheibe, Polierrot spritzte ihm gegen die Brille und verschmierte ihm Nägel und Hände. Der Ohrring, in Form eines Schneckenhauses, wurde von der Reibung heiß, aber Frank ließ nicht locker.
»Nicht zu glänzend«, meinte Ed McCarthy. »Nur die erhabenen Stellen; die Vertiefungen können ruhig stumpf bleiben.«
Frank Frink brummte etwas Unverständliches. »Silber verkauft sich besser, wenn es nicht zu stark poliert ist«, meinte Ed. »Silberarbeiten müssen immer ein wenig alt wirken.«
Verkaufen, dachte Frank.
Sie hatten nichts verkauft. Abgesehen von dem Kommissionslager hatte niemand etwas genommen, und sie hatten insgesamt fünf Einzelhandelsgeschäfte besucht.
Wir verdienen kein Geld, sagte Frank zu sich. Wir machen immer mehr Schmuck, und er stapelt sich rings um uns auf.
Der Schraubsockel des Ohrrings verfing sich in der Scheibe; das Stück wurde Frink aus der Hand gerissen und fiel zu Boden. Er schaltete den Motor ab.
»Laß die Stücke nicht fallen«, sagte McCarthy, der ein Schweißgerät in der Hand hielt.
»Herrgott, es ist ja bloß so groß wie eine Erbse. Wie soll ich das denn zu fassen kriegen.«
»Nun, heb es trotzdem auf.«
Der Teufel soll den ganzen Laden holen, dachte Frink.
»Was ist denn?« fragte McCarthy, als er bemerkte, daß der andere keine Anstalten machte, den Ohrring aufzuheben.
»Wir werfen unser Geld zum Fenster hinaus, für nichts und wieder nichts«, sagte Frink.
»Was wir nicht gemacht haben, können wir auch nicht verkaufen.«
»Gar nichts können wir verkaufen«, widersprach Frink. »Ob wir es jetzt gemacht haben oder nicht.«
»Fünf Läden. Ein Tropfen auf einem heißen Stein.«
»Aber der Trend«, meinte Frink. »Man sieht, wie es läuft.«
»Mach dir doch nichts vor.«
»Ich mache mir nichts vor«, meinte Frink.
»Was willst du damit sagen?«
»Damit will ich sagen, daß es höchste Zeit ist, daß wir anfangen, uns nach einem Markt für Abfallmetalle umzuschauen.«
»Also schön«, sagte McCarthy, »dann steig doch aus.«
»Mache ich auch.«
»Dann mach ich alleine weiter.« McCarthy entzündete den Schweißbrenner wieder.
»Wie wollen wir denn teilen?«
»Keine Ahnung. Wird uns schon etwas einfallen.«
»Du kannst mich abfinden«, sagte Frink.
»Kommt nicht in Frage.«
Frink überlegte. »Zahl mir sechshundert Dollar.«
»Nein, du kannst die Hälfte von allem mitnehmen.«
»Den halben Motor?«
Dann schwiegen beide eine Weile.
»Noch drei Geschäfte«, meinte McCarthy. »Dann reden wir noch einmal darüber.« Er zog sich die Schutzmaske wieder über die Augen und machte sich wieder an die Arbeit.
Frank Frink stieg von der Bank. Er fand den Ohrring und legte ihn in die Schachtel mit den nicht fertiggestellten Teilen. »Ich geh ‘ne Weile hinaus und rauche eine Zigarette«, sagte er und ging zur Treppe.
Kurz darauf stand er draußen auf dem Bürgersteig und hielt eine T’ien-Lai zwischen den Fingern.
Es ist alles vorbei, sagte er sich. Dazu brauche ich kein Orakel; ich erkenne den Augenblick auch so. Es riecht einfach nach Pleite.
Dabei ist es recht schwer, den Grund zu finden. Vielleicht, theoretisch gesprochen, sollten wir weitermachen. Laden für Laden, andere Städte. Aber – irgend etwas stimmt nicht. Und all die Mühe und aller Einsatz ändern nichts daran.
Warum, will ich wissen, dachte er.
Aber das werde ich nie erfahren.
Was hätten wir tun sollen? Was statt dessen machen sollen?
Wir haben uns gegen den Strom der Zeit gestellt. Gegen das Tao. Stromaufwärts in der falschen Richtung. Und jetzt – Auflösung. Verfall.
Das Yin hat uns erfaßt. Das Licht hat uns seinen Hintern gezeigt, ist anderswohin gegangen.
Jetzt können wir nur kuschen.
Und wie er so im Schatten des Gebäudes dastand und gierig an seiner Marihuanazigarette sog, kam ein ganz gewöhnlich aussehender weißer Mann in
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