Das Orakel vom Berge
sah sie wütend an.
»Möchtest du nicht, daß ich mir ein paar hübsche Pyjamas kaufe?« sagte sie. »Dann bin ich…«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Vergiß es. Such uns ein Lokal.«
Und Juliana sagte mit gleichmäßiger fester Stimme: »Jetzt melden wir uns zuerst im Hotel an. Dann können wir uns umziehen. Und dann essen wir.« Es muß ein wirklich gutes Hotel sein, dachte sie, sonst ist alles vorbei. Selbst jetzt noch. Und im Hotel fragen wir dann, welches das beste Lokal in Denver ist. Und ein guter Nightclub, wo wirklich nur Spitzenstars auftreten, nicht bloß irgendein Lokaltalent, sondern wirklich große Namen aus Europa, wie Elenor Perez oder Willy Beck. Ich weiß, daß große UFA-Stars wie die nach Denver kommen, weil ich die Plakate gesehen habe.
Während sie ein gutes Hotel suchten, warf Juliana immer wieder Blicke auf den Mann neben ihr. Mit kurzgeschnittenem blonden Haar und in seinen neuen Kleidern sieht er völlig verändert aus. Gefällt er mir so besser? Schwer zu sagen. Und ich – sobald ich mir das Haar habe richten lassen, werden wir zwei fast ganz andere Menschen sein. Aus dem Nichts geschaffen, oder besser gesagt, aus Geld. Aber ich muß mir das Haar richten lassen, sagte sie sich.
In der Innenstadt von Denver fanden sie ein großes stattliches Hotel mit einem uniformierten Portier, der ihren Wagen parken ließ. So wollte sie es. Und ein Page – in Wirklichkeit ein ausgewachsener Mann in kastanienbrauner Uniform – trug ihre Pakete und ihr Gepäck, so daß sie nichts anderes zu tun brauchten, als die breite, mit Teppichen belegte Treppe hinaufzugehen, durch die Glas- und Mahagonitüren hindurch in die Halle.
Kleine Läden zu beiden Seiten der Halle, Blumengeschäfte, Geschenke, Schokolade, ein Telegrafenbüro, das Gewimmel von Gästen an der Rezeption, die großen Topfpflanzen und unter ihren Füßen Teppichböden, dick und weich… Neonleuchten wiesen den Weg zum Restaurant, der Cocktailbar und dem Frühstücksraum.
Es gab sogar eine Buchhandlung.
Während Joe sie in das Buch eintrug, entschuldigte sie sich und lief zu dem Buchgeschäft, um nachzusehen, ob es Die Heuschrecke gab. Ja, da lag es, ein ganzer Stapel mit einem Plakat, auf dem stand, wie beliebt und wichtig es wäre und natürlich, daß es in den deutschen Gebieten verboten sei. Eine lächelnde Frau, die sie an ihre Großmutter erinnerte, bediente sie; das Buch kostete beinahe vier Dollar, was Juliana sehr teuer vorkam, aber sie bezahlte mit einem Reichsmarkschein aus ihrer neuen Handtasche und eilte dann wieder zu Joe zurück.
Der Page, mit ihrem Gepäck beladen, führte sie zum Lift und ins zweite Stockwerk, dort den Korridor entlang zu ihrem atemberaubenden Zimmer. Der Mann schloß die Tür für sie auf, trug alles hinein und schaltete das Licht ein. Joe gab ihm ein Trinkgeld, und er verschwand, schloß die Tür hinter sich.
Alles entwickelte sich genauso, wie sie es sich gewünscht hatte.
»Wie lange bleiben wir in Denver?« fragte sie Joe, der bereits angefangen hatte, die Pakete aufzuschnüren. »Ehe wir nach Cheyenne fahren?«
Er gab keine Antwort; er war jetzt ganz in den Inhalt seines Koffers vertieft.
»Einen Tag oder zwei?« fragte sie und zog den neuen Mantel aus. »Meinst du, wir könnten drei bleiben?«
Joe hob den Kopf und antwortete: »Wir fahren heute abend weiter.«
Zuerst verstand sie nicht, und dann wollte sie ihm nicht glauben. Sie starrte ihn an, und er starrte zurück, und sein Gesicht wirkte grimmig, beinahe erschreckend, so verzerrt, wie sie es noch bei keinem Menschen gesehen hatte. Er stand reglos da, wie gelähmt.
»Nach dem Essen«, fügte er hinzu.
Sie wußte nicht, was sie sagen sollte.
»Du mußt das neue Kleid tragen, das so viel gekostet hat«, sagte er. »Das blaue; das wirklich gute – verstehst du?« Er begann sein Hemd aufzuknöpfen. »Ich werd mich jetzt rasieren und duschen.« Seine Stimme klang mechanisch, als spräche er meilenweit entfernt durch irgendein Instrument. Und dann drehte er sich um und ging steif und ruckartig zum Bad.
»Heute abend ist es zu spät«, stieß sie schließlich etwas mühsam hervor.
»Nein. Wir sind gegen halb sechs mit dem Abendessen fertig, spätestens um sechs. Wir sind in zwei, zweieinhalb Stunden in Cheyenne. Dann ist es erst halb neun, sagen wir spätestens neun. Wir können von hier aus anrufen, Abendsen sagen, daß wir kommen; erklären. Das wird Eindruck machen, ein Ferngespräch. Sag es so – wir fliegen zur Westküste;
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