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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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im Gras, schliefen.
    Mr. Tagomi holte die Papiertüte mit Mr. Childans Aufdruck aus der Tasche. Er hielt sie in beiden Händen und wärmte sich. Dann öffnete er die Tüte und holte seinen neuen Besitz heraus, um ihn bewußt zu betrachten, hier in diesem kleinen Park der alten Männer.
    Er hielt den Silberklumpen in der Hand. Er glänzte im Licht der Mittagssonne wie irgendein billiges Spielzeug, das man in einer Schachtel mit Cornflakes findet. Oder – er starrte das Silber an. Om , wie die Buddhisten sagen. Ein zusammengeschrumpfter Punkt, in dem alles eingefangen ist. Beides, wenigstens andeutungsweise. Die Größe, die Form. Immer noch starrte er es an.
    Wird es kommen, so wie Mr. R. Childan es prophezeit hat?
    Fünf Minuten, zehn Minuten. Ich sitze, so lange ich kann. Und am Ende wird die Zeit siegen. Was ist es, was ich hier halte; was ist es – so lange noch Zeit ist? Vergib mir, dachte Mr. Tagomi in Richtung auf den Silberklumpen. Wir stehen dauernd unter Druck aufzustehen und etwas zu unternehmen. Bedauernd schob er das Ding in seine Tüte zurück. Ein letzter hoffnungsvoller Blick – er versuchte, es zu durchdringen. Wie ein Kind, sagte er sich. Versuche die Unschuld und den Glauben nachzuahmen. So wie wenn man sich eine Muschel ans Ohr hält und in ihrem Rauschen die Weisheit des Meeres vernimmt.
    Und das hier verlangt nur von einem, daß das Auge an die Stelle des Ohres tritt. Sag mir, was getan worden ist, was es bedeutet, sag mir warum. Alles Verstehen in ein einziges Stück Silber gedrängt.
    Ob ich zuviel frage und so gar nichts erfahre?
    »Hör zu«, sagte er mit leiser Stimme zu dem Silberklumpen. »Ich habe Garantie auf dich bekommen.« Wenn ich es schüttle? So wie eine alte widerspenstige Uhr. Er tat es, auf und ab. Oder wie Würfel in einem Spiel mit hohem Einsatz. Vielleicht weckt das das Göttliche in dir. Ob es schläft? Ob es auf einer Reise ist? Vielleicht verfolgt es auch jemanden.
    Mr. Tagomi schüttelte den Silberklumpen heftig auf und ab. Er hielt ihn in der geballten Faust. Vielleicht muß ich ihn lauter rufen. Wieder starrte er das Silber an.
    Du kleines Ding. Du bist leer, dachte er.
    Ich muß es beschimpfen, sagte er sich. Ihm Angst machen.
    »Jetzt verläßt mich die Geduld«, sagte er mit leiser Stimme.
    Und was dann? Soll ich dich in die Gosse werfen? Dich anhauchen, dich schütteln? Hilf mir das Spiel gewinnen.
    Er lachte. Täppische Hingabe, hier mitten in der Sonne. Ein Schauspiel für jeden, der des Weges kommt. Jetzt blickte er schuldbewußt um sich. Aber niemand sah es. Alte Männer, die dösten.
    Ich habe alles versucht, erkannte er. Gebettelt, es angestarrt, gedroht, am Ende sogar philosophische Betrachtungen angestellt. Was kann ich noch tun?
    Wenn ich nur hierbleiben könnte. Aber das ist mir versagt. Vielleicht bietet sich wieder eine Gelegenheit. Und doch, wie W. S. Gilbert sagt, eine solche Gelegenheit wird sich nie wieder bieten. Stimmt das? Ich fühle, daß es so ist.
    Als ich ein Kind war, dachte ich wie ein Kind. Aber jetzt habe ich die kindischen Dinge beiseite gelegt. Jetzt muß ich in anderen Bereichen suchen. Ich muß auf neuen Wegen versuchen, diesen Gegenstand zu ergründen.
    Ich muß wissenschaftlich vorgehen. Mit Hilfe logischer Analyse alle Möglichkeiten erschöpfen. Systematisch, nach der klassischen aristotelischen Labormethode.
    Er steckte den Finger ins rechte Ohr, um den Verkehrslärm und die anderen Geräusche, die ihn ablenkten, auszuschließen. Und dann hielt er das silberne Dreieck wie eine Muschel an sein linkes Ohr.
    Kein Laut. Nicht das Tosen eines simulierten Meeres, in Wirklichkeit Geräusche, wie der innere Blutkreislauf sie erzeugt. Nicht einmal das.
    Was für einen anderen Sinn sollte er dann einsetzen, um das Geheimnis zu ergründen? Das Gehör war offenbar nicht zu gebrauchen. Mr. Tagomi schloß die Augen und begann die Oberfläche des Gegenstandes systematisch abzutasten. Aber da war nichts; seine Finger verrieten ihm nichts. Geruch. Er hielt den Silberklumpen dicht an seine Nase und atmete ein. Ein schwacher metallischer Geruch, aber er vermittelte ihm keine Bedeutung. Geschmack. Er machte den Mund auf und schob das Silberdreieck hinein, schob es hinein wie ein Stück Schokolade, kaute aber natürlich nicht. Keine Bedeutung, nur ein bitteres hartes kaltes Ding.
    Wieder hielt er es in der Hand.
    Jetzt war der Gesichtssinn wieder dran. Der höchste aller Sinne: nach griechischer Prioritätenfolge. Er drehte und wendete das silberne

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