Das Orakel vom Berge
diese Stücke nicht.«
»Ganz sicher«, sagte Mr. Tagomi. »Aber es macht nichts. Ich akzeptiere Ihre Entscheidung; Sie haben mich nicht beleidigt.«
»Sir«, sagte Childan, »erlauben Sie mir, daß ich Ihnen etwas zeige, was neu hereingekommen ist. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«
Mr. Tagomi spürte wieder die seltsame Regung in sich. »Etwas von ungewöhnlichem Interesse?«
»Kommen Sie, Sir.« Childan führte ihn durch den Laden; Mr. Tagomi folgte ihm.
In einem abgeschlossenen Glaskasten lagen auf schwarzen Samttabletts kleine Metallgegenstände, Formen, die nur andeuteten, nicht waren. Mr. Tagomi empfand ein eigenartiges Gefühl, als er sich vorbeugte, um die Gegenstände zu studieren.
»Ich zeige diese Stücke jedem meiner Kunden«, sagte Robert Childan. »Sir, wissen Sie, was das ist?«
»Schmuck, wie es scheint«, sagte Mr. Tagomi, dem eine Nadel aufgefallen war.
»In Amerika hergestellt. Ja, natürlich. Aber, Sir, die Stücke hier sind nicht alt.«
Mr. Tagomi blickte auf.
»Sir, sie sind neu.« Robert Childans weiße, etwas langweiligen Züge waren von Leidenschaft gezeichnet. »Das hier ist das neue Leben meines Landes, Sir. Der Anfang in Gestalt winziger unvergänglicher Samen. Schönheit.«
Mr. Tagomi nahm sich Zeit, einige Stücke mit eigenen Händen zu untersuchen. Ja, es ist da etwas Neues, das diese Stücke belebt, entschied er. Das Gesetz des Tao wird hier bestätigt; wenn überall Yin liegt, lebt der erste Lichtstrahl in den dunkelsten Tiefen… und doch sind sie für mich nichts anderes als Stücke von Metall. Ich kann mich nicht so hinreißen lassen wie Mr. Childan. Schade für beide von uns. Aber so ist es eben.
»Recht nett«, sagte er und legte die Stücke weg.
Und Mr. Childan sagte voll Überzeugung: »Sir, es erfaßt einen nicht gleich.«
»Wie bitte?«
»Die neue Perspektive im Herzen.«
»Sie sind überzeugt«, sagte Mr. Tagomi. »Ich wünschte, ich könnte es auch sein. Aber ich bin es nicht.« Er verbeugte sich.
»Ein andermal«, sagte Mr. Childan und geleitete ihn zum Ausgang; er machte keine Anstalten, ihm irgend etwas anderes zu zeigen, stellte Mr. Tagomi fest.
»Ihre Überzeugung ist nicht sehr geschmackvoll«, sagte Mr. Tagomi. »Ich fühle mich bedrängt.«
Mr. Childan wirkte unbeirrt.« Verzeihen Sie«, sagte er. »Aber ich habe recht. Ich spüre in diesen Stücken den konzentrierten Samen der Zukunft.«
»Mag sein«, sagte Mr. Tagomi. »Aber mich spricht Ihr angelsächsischer Fanatismus nicht an.« Nichtsdestoweniger verspürte er eine gewisse Erneuerung seiner Hoffnung. Seiner eigenen Hoffnung, der Hoffnung, die er für sich selbst empfand. »Guten Tag.« Er verbeugte sich. »Ich werde Sie eines Tages wieder besuchen. Dann können wir ja Ihre Prophezeiung überprüfen.«
Mr. Childan verbeugte sich stumm.
Mr. Tagomi nahm seine Mappe mit dem Colt . 44 und ging. Ich gehe hinaus, wie ich hereinkam, überlegte er. Immer noch auf der Suche. Immer noch ohne das, was ich brauche, wenn ich in die Welt zurückkehren soll.
Was, wenn ich eines dieser seltsamen Stücke gekauft hätte? Es behalten, wieder untersucht, betrachtet… hätte ich dann vielleicht meinen Weg zurück in die Welt gefunden? Ich bezweifle es. Sie sind für ihn, nicht für mich.
Und doch, wenn einer seinen Weg findet… bedeutet das, daß es einen Weg gibt. Selbst, wenn es mir persönlich nicht gelingt, ihn zu finden. Ich beneide ihn.
Mr. Tagomi wandte sich um und ging zum Laden zurück. Mr. Childan stand unter der Türe und sah ihn an. Er war nicht wieder hineingegangen.
»Sir«, sagte Mr. Tagomi. »Ich kaufe eines dieser Stücke. Sie können es auswählen. Ich empfinde nichts dafür, aber im Augenblick greife ich nach Strohhalmen.«
Er folgte Childan wieder in den Laden, an das Glaskabinett. »Ich glaube nicht daran. Ich werde es bei mir tragen und es regelmäßig betrachten. Jeden zweiten Tag zum Beispiel. Und nach zwei Monaten, wenn ich nichts sehe…«
»Dann können Sie es mir zurückgeben«, sagte Mr. Childan. Und er legte ihm ein kleines silbernes Dreieck mit hohlen Tropfen daran hin.
»Danke«, sagte Mr. Tagomi.
Mr. Tagomi fuhr mit einem Pedotaxi zum Portsmouth Square, einem kleinen freien Parkgelände, das über der Kearney Street lag und von dem aus man auf die Polizeistation hinunterblicken konnte. Er nahm auf einer Bank Platz und genoß das Licht der Sonne. Tauben suchten auf dem Weg Futter. Auf anderen Bänken lasen schäbig gekleidete Männer Zeitung oder dösten. Andere lagen
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