Das Orakel von Antara
müssen es irgendwo in den Felsen ritzen, wo unsere Leute es auf jeden Fall sehen.“
„Genauso habe ich es gemeint! Du bist ein kluger Junge, Kandon!“ Schmunzelnd klopfte Yorn dem Freund auf die Schulter, wobei ihm der Schalk aus den Augenwinkeln schaute.
„Ach, lass' das!“ Kandon wischte wütend Yorns Hand zur Seite. „Tu nicht so, als habest du die Weisheit mit Löffeln gefressen! Was würde dir dein schönes Zeichen ohne mich nützen? Wenn ich dir nicht gesagt hätte, wo man es anbringen kann, würden es wohl nur ein paar Füchse sehen.“
„Nur ruhig Blut, Kandon!“ Reven legte beschwichtigend die Hand auf den Arm des Aufgebrachten. „Du weißt doch genau, dass Yorn dich nur ein wenig foppen will. Wir wissen alle sehr genau, was wir an dir haben. Ohne deine Führung wären wir immer noch hinter den Moradonen. So aber können wir bald ohne Sorgen mit großer Geschwindigkeit reiten. Es wird bald regnen. Der Himmel hat sich schon ganz zugezogen. Dann brauchen wir uns auch um unsere Spuren keine Gedanken mehr zu machen.“
Tatsächlich waren sie am nächsten Morgen erst kurze Zeit geritten, als es in Strömen zu regnen begann. Obwohl sie völlig durchnässt wurden, war Yorn doch froh über diesen Wetterwechsel. Nun konnten sie sich stets den bequemsten Weg aussuchen und brauchten sich nicht abseits der Route durchs Gelände zu schlagen, damit ihre Fährte sie den Moradonen nicht verriet.
In den nächsten zwei Tagen gab es immer wieder heftige Wolkenbrüche. Am Morgen l agen dichte Nebel über dem Boden, die sich meist erst gegen Mittag völlig verzogen.
Als man am zweiten Morgen noch beim Frühstück saß, hob Vanea auf einmal lauschend den Kopf. Ihr Gesicht bekam einen abwesenden Ausdruck, und die Männer blickten g espannt zu ihr hin, ohne sich zu rühren. Eine ganze Weile saß das Mädchen so da, völlig entrückt und in entspannter Konzentration, die Augen fest geschlossen. Als sie sie wieder öffnete, fragten alle drei Männer wie aus einem Munde:
„Was hast du gesehen, Vanea?“
„Die Moradonen und ihre Gefangenen“, sagte Vanea traurig. „Sie sind trotz der frühen Stunde schon wieder auf dem Marsch. Sie ziehen schnell, und keiner der Gefangenen geht zu Fuß. Die Alten und Kinder hat man in Karren gesetzt, und alle anderen müssen reiten. Der Zug ist knapp zwei Tagesritte hinter uns.“
„Wie seltsam!“ wunderte sich Yorn. „Wer hätte je gehört, dass die Moradonen ihre Gefangenen reiten lassen? Sie scheinen große Eile zu haben. Wären nicht die Wagen dabei und das geraubte Vieh, wäre es uns nie gelungen, sie zu überholen, da wir uns ja nicht sehen lassen dürfen. Was mag sie wohl zu dieser Hast treiben?“
„Es kann nur das sein, was Nith sagte“, mutmaßte Reven. „Der Moradonenkönig hat von der Gefahr erfahren, die ihm durch dich droht. Darum wird er seinen Kriegern befohlen haben, die Niveder so schnell wie möglich nach Blooria zu schaffen. Er wird denken, dass er in einem von ihnen seinen Widersacher entdeckt. Doch seine Männer scheinen nicht wissen zu dürfen, nach wem er sucht. Darum hat man auch die Alten mitgenommen, die sonst stets getötet werden, da sie zur Sklavenarbeit nicht mehr taugen.“
„Das mag vielleicht einmal unsere Chance sein“, sagte Yorn, „dass Xero nicht genau weiß, nach wem er eigentlich sucht. Vielleicht gelingt es uns so, eine falsche Spur zu legen und ihn von uns abzulenken. Doch kommt, wir müssen aufbrechen! Je größer der Abstand zwischen uns und dem Sklavenzug wird, desto besser. Solange die Niveder noch nicht in Blooria eingetroffen sind, wird Xero weniger wachsam sein, da er seinen Feind unter ihnen vermutet. Ich frage mich nur, wie er an seine Informationen gekommen ist. Er scheint viel zu wissen, doch das Wichtigste muss ihm unbekannt sein.“
Kandon hatte die ganze Zeit sinnend dagesessen. Nun hob er auf einmal den Kopf. „Erinnert ihr euch an Kobar?“ fragte er die Freunde.
„Ja, er ist auf der Jagd verunglückt“, antwortete Reven. „Was ist mit ihm?“
„Niemand weiß, ob er wirklich tot ist“, sagte Kandon. „Man fand nur seinen Bogen oberhalb der Schlucht und glaubte daher, er sei abgestürzt, weil auch ein Fetzen seines Hemdes an einem Felsgrat in der Tiefe hing. Ihr wißt, wir haben seinen Körper am Grund der Schlucht nie gefunden und haben geglaubt, sein Leichnam hinge irgendwo in den Felsen, wo wir ihn nicht sehen und nicht erreichen konnten. Seit wir
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