Das Orakel von Antara
Schweigend ritten sie nun durch die Bergwildnis nach Süden. Yorn machte sich Sorgen um Nith, wenn er daran dachte, welch beschwerlichen Weg der alte Priester vor sich hatte. Doch er beruhigte sich selbst damit, dass Nith stets genau gewusst hatte, was er tat, und dass in diesem Mann eine geheimnisvolle Kraft steckte, die Yorn so manches Mal überrascht hatte.
Auch die anderen waren in Geda nken versunken, und auch sie schienen sich nicht nur mit den vor ihnen liegenden Gefahren zu beschäftigen, denn nach einer Weile fragte Vanea:
„Ist es weit zu den Lidonen?“
Yorn schrak hoch. „Weit?“ fragte er abwesend. „Nun, wie man es nimmt. Mit einem schnellen Pferd kann man ihr Gebiet in vier Wochen erreichen, etwa in der gleichen Zeit, die wir wahrscheinlich nach Blooria brauchen werden.“
„Wird Nith es denn schaffen, dorthin zu gelangen? Er ist ein alter Mann!“ In Vaneas Stimme klang Zweifel mit.
„Er wird es schaffen!“ sagte Kandon überzeugt. „Nith ist nicht wie andere Menschen und er ist gewiss kein gebrechlicher Greis. Sein Wille ist härter als Eisen und in seinem Körper steckt die Kraft eines jungen Mannes. Er wird nicht scheitern, da er eine Pflicht zu erfüllen hat.“
„Ja, das denke ich auch“, stimmte Yorn nachdenklich zu, „und ich denke, dass in ihm ein Hauch von Saadhs Kraft ist, da er dem Gott von Kindheit an dient. Ihr wisst, der Gott selbst wählt sich seine Priester durch die Zeichen bei ihrer Geburt. Aber wie es auch sei, wir können Nith nicht mehr helfen. Er muss seinen Weg gehen wie wir den unseren. Von jetzt ab muss jeder Gedanke unserem Ziel gelten!“
*****
Zwei Wochen später erreichten die Freunde den Rand des Gebirges. Anfangs hatten sie nicht schnell reiten können, da sie befürchten mussten, sonst auf den Zug der Moradonen mit ihren Gefangenen zu stoßen. Dann jedoch hatte Kandon sie auf einem beschwerlichen Pfad im Bogen um die Feinde herumgeführt. So waren sie am Fuß der Berge wieder auf die Route gestoßen, die der schwerfällige Gefangenenzug nehmen würde. Als sie am Abend ein wenig abseits davon lagerten, damit ihre Spuren sie den Feinden nicht verrieten, sagte Reven:
„Wenn man den Brüdern nur mitteilen könnte, dass wir zurückgekehrt und auf dem Weg nach Moradon sind! Es würde ihnen zumindest etwas Trost und Hoffnung geben.“
„Hm, vielleicht ist das möglich“, überlegte Yorn. „Sag, Kandon, du kennst doch noch ein ganzes Stück des Weges, den wir reiten müssen. Gibt es dort irgendwo eine Stelle, an der die Feinde auf jeden Fall vorbeikommen müssen?“
Kandon überlegte eine Weile. „Ja“, sagte er dann, „ich weiß so einen Ort. Etwa zwei Tagesritte von hier müssen wir durch ein flaches, felsiges Tal, das ein kleiner Fluss sich geschaffen hat. Es gibt keinen anderen Weg, wenn man nicht durch die unwegsamen Wälder zu seinen Seiten reiten will. Die Moradonen werden mit ihren Gefangenen diesen bequemen Weg auf jeden Fall wählen, da sie die Niveder im Wald viel schlechter beaufsichtigen könnten. Aber sag, warum fragst du mich das?“
„Weil wir den Gefangen dort leicht ein Zeichen geben können“, antwortete Yorn.
„Was für ein Zeichen?“ fragte Kandon skeptisch. „Willst du ihnen zuwinken oder „Yorn war hier“ in den Flusssand schreiben?“
„So ähnlich!“ lächelte Yorn verschmitzt in Kandons verblüfftes Gesicht.
„Ja, Yorn, das ist gut!“ lachte Reven da. „Wir werden schreiben „Yorn war hier“ , aber so, dass es die Moradonen nicht lesen können.“
„Ah! Du hast mich verstanden!“ meinte Yorn zufrieden.
„Wie sollte ich nicht? Sind wir nicht Brüder?“ Reven schaute Yorn mit warmem Blick an. „Haben wir nicht immer gewusst, was der andere dachte?“
„Wollt ihr mich nicht endlich aufklären?“ maulte Kandon ärgerlich, während Vanea aufmerksam Yorns Gesicht studierte.
„Ich glaube, ich weiß auch, was die beiden meinen“, neckte sie Kandon. „Ach, Kandon! Überlege doch mal! Was könnte denn besagen, dass es nur Yorn gewesen sein kann, der diesen Weg nahm? Ein Zeichen! Ein Zeichen, dessen Bedeutung außer den Antaren nur noch vielleicht der Herrscher von Moradon kennt, doch niemals die Krieger!“
„Die Blitze Saadhs!“ Kandon sprang voller Erregung auf. „Ja, das ist es! Jeder Niveder kennt das Zeichen auf Yorns Brust, und wenn sie es sehen, werden sie wissen, dass nur er es hinterlassen haben kann. Wir
Weitere Kostenlose Bücher