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Das Orakel von Margyle

Das Orakel von Margyle

Titel: Das Orakel von Margyle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Hale
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Pfeil zu packen. Was hatte er vor? Maura sang lauter und versuchte, die Schreie des Mannes zu übertönen. Der Pfeil vibrierte stärker und stärker, bis sie befürchtete, er könnte zerbrechen.
    Dann zerriss etwas.
    Die Schreie brachen ab, der Stumpf des Pfeilschafts stieß durch Fleisch und Knochen, um sich in die Bretter des Frachtraumbodens zu bohren. Rath rollte den Verwundeten fort und zog die Pfeilspitze aus dem nassen Holz. Dann sprang er auf, drehte sich um und drückte sie dem wartenden Seemann in die Hand. “Hier, geht! Sorgt dafür, dass Ihr sie loswerdet!”
    Der Mann raste die Leiter hoch, während aus allen Richtungen gleichzeitig schwere Brecher gegen die Phantom krachten. Der Schiffsrumpf bebte nun genauso wie der Pfeilschaft zuvor. Dann löste sich die unerträgliche Spannung, es klang, als würde der Ozean tief aufseufzen. Eine atemlose, erschöpfte Stille breitete sich aus.
    “Gut gemacht,
Aira!”
Rath wirbelte Maura herum und gab ihr einen Kuss.
    Einen köstlich süßen Augenblick lang ließ sie ihn gewähren. Dann stieß sie ihn in gespieltem Ärger von sich. “Genug jetzt! Lass mich die Wunde des armen Mannes versorgen, solange noch ein Tropfen Blut in ihm ist. Was für ein Glück, dass er in Ohnmacht fiel, als der Schmerz zu groß wurde. Ich weiß nicht, ob ich noch lange durchgehalten hätte.”
    Sie zog einen weiteren Leinenstreifen aus dem Schultergürtel und benetzte ihn mit dem Meereswasser, das jetzt langsamer durch die Luke tropfte. Dann besprengte sie ihn mit Kerzenflachs, um die Blutung zu stoppen. Währenddessen zog Rath den Mann mit den gebrochenen Knochen zu einem trockeneren Platz im Frachtraum und holte ihm eine Decke.
    “Was hast du getan, als du den Arm um mich gelegt und den Pfeilschaft festgehalten hast?”, fragte Maura.
    Rath lachte leise. “Ich habe mich an ein paar kluge Worte erinnert, die ein alter Zauberer einmal zu mir gesagt hat.”
    “Langbard sagte viele kluge Sachen. Was genau meinst du?”
    Wieso musste sie nach all der Zeit und allem, was seither geschehen war, noch immer mit den Tränen kämpfen? Lag es an dieser seltsamen Erschöpfung, die einen nach ausgestandener Gefahr oft ergriff? Oder war die flüchtige, aber intensive Verbindung mit ihrem geliebten Vormund daran schuld, die sie während des Zauberspruchs empfunden hatte?
    Was immer auch die heftigen Gefühle verursacht haben mochte, Rath schien sie zu spüren und zu verstehen. Er hockte sich auf die Fersen und strich ihr über den Arm.
    “In der kurzen Zeit, die ich Langbard kannte, habe ich nicht viele seiner Weisheiten zu hören bekommen. Doch erinnere ich mich, dass er einmal sagte: 'Zaubersprüche sind ja ganz gut, aber manchmal geht nichts über einen schnellen, körperlichen Einsatz.'“ Dabei machte er Langbards kräftige, volltönende Stimme so gut nach, dass Maura gleichzeitig lachen und schluchzen musste. Rath legte eine Hand an ihre Wange. “Ich dachte, dein Zauberspruch könnte ein wenig physische Unterstützung brauchen. Und es schien ja auch zu wirken.”
    Maura nickte. Ein Windstoß verirrte sich durch die Luke, strich über ihre feuchten Kleider und ließ sie frösteln. “Keinen Moment zu früh.”
    “Da bin ich mir nicht so sicher.” Rath legte ihr eine grobe Decke um die Schultern. “Etwas sagt mir, wenn wir noch einen Augenblick gebraucht hätten – der Allgeber hätte ihn uns geschenkt.”
    Hinter seinem ironischen Ton erahnte Maura erste, zögerliche Zeichen seines Glaubens. Es war kein hochfliegender, eifriger Glaube, der von bezeugten Wundern und großen Taten gespeist wurde, sondern ein tiefes Wissen, das langsam mit der Zeit wuchs. Ein Glaube, der einen in der Kälte der Verzweiflung wärmen und die Jahre überdauern würde.
    “Schau, wenn ein winziges Schiff die ganze Erzflotte zerstören kann, dann besteht vielleicht doch Hoffnung, dass wir Umbria befreien können.”
    Rath atmete langsam tief durch. “Jetzt übertreib mal nicht, Liebling. Nicht die Phantom hat die hanischen Schiffe versenkt, sondern es waren die Wehrhaften Wasser.”
    “Vielleicht finden wir noch eine andere machtvolle Kraft, die zu unseren Gunsten wirkt.” Im Augenblick hielt sie nichts für unmöglich.
    Auch wenn es mittlerweile im Laderaum zu dunkel geworden war, um mehr als Schatten erkennen zu können, sah Maura, dass Rath den Kopf schüttelte. “Ich weiß nicht recht,
Aira.
Große Kräfte können gefährlich sein.” Dann, mehr zu sich als zu ihr, fuhr er fort: “Und nicht nur für

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