Das Orakel von Margyle
entfachte.
Der Mann besaß vielleicht eine Frechheit! Jedenfalls mehr, als Rath recht war. Was dachte sich dieser Schuft eigentlich dabei, Maura zuerst mit dem starken Gebräu zu traktieren, um sie dann ihrem Mann aus den Armen zu reißen und sie in einem wilden Tanz über Deck zu schleifen? Hatte er nicht genug Verstand im Kopf, um zu wissen, dass sie in dem Knabenhemd und den Kniehosen mit ihren verführerischen Kurven die Blicke eines jeden Mannes an Bord auf sich zog? Oder war ihm das etwa egal?
Wieder hob Rath den Krug an die Lippen. Langsam fand er Gefallen an dem brennenden, moschusartigen Geschmack des Getränks. Verdammt – der Krug war leer!
Er rappelte sich schwankend hoch, nur um feststellen zu müssen, dass seine Beine ihm nicht mehr gehorchten. Rath war allerdings nicht in der Stimmung, sich von den eigenen Körperteilen sein Vorhaben durchkreuzen zu lassen. Also lief er los, ließ jedes Bein machen, was es wollte, während er sich darauf konzentrierte, das Gleichgewicht zu halten.
Er hatte einige Schritte geschafft, als ihm ein Einfall kam. Er brauchte ja nur bei den Männern zu warten, die Gull und Maura umringten, dann würde der wilde Tanz ihm die beiden direkt vor die Nase wirbeln. Er beglückwünschte sich, dass es ihm gelang, stehen zu bleiben, ohne mit dem Gesicht auf Deck zu landen.
Als Gull und Maura vorbeitänzelten, stoppte Rath ihren Tanz, indem er Gull schwer die Hand auf die Schulter legte. “Ich denke, für heute Nacht habt Ihr genug getanzt, mein Freund … zumindest mit meiner Frau.”
Gull zwinkerte Maura lachend zu. “Pfui, er ist genauso eifersüchtig wie Abri! Wir sollten ihn mit ihr losschicken, Ratten jagen!”
“Setz dich, Rath.” Maura ließ Gulls Schulter los. “Bevor du noch hinfällst. Störe das Fest nicht.”
Ihr sanft tadelnder Ton besänftige Raths Zorn ganz und gar nicht. Außerdem war er noch so mit Gulls letzten Worten beschäftigt. “Ratten jagen, sagt Ihr?” Er packte Gull an dessen langem, dunklem Schopf und zog ihn in die Höhe, bis er auf den Zehen stand. “Ich muss gar nicht weit gehen, um eine Ratte zu finden, meint Ihr nicht?”
“Lass los, dämliche Landratte!”, schrie Gull. “Keiner legt auf meinem eigenen Schiff Hand an mich!”
Plötzlich zog er die Füße an und ließ Raths Arm sein ganzes Gewicht tragen. Bevor Rath ihn loslassen konnte oder das Gleichgewicht verlor und nach vorne fiel, holte Gull an seinen Haaren baumelnd aus und trat Rath voll in den Magen.
Rath stieß keuchend die Luft aus, als der Schmerz in ihm explodierte. Er brach zusammen, wand sich auf Deck und rang verzweifelt nach Atem. Aber Schmerzen hatten für Rath noch nie große Bedeutung besessen, wenn seine Kampfeslust erst einmal geweckt war. Und Gull hatte sie aufs Höchste geweckt – erst durch seine Beleidigungen und jetzt durch seine Attacke.
“Lasst Euch das eine Lehre sein, Landratte.” Gull erhob sich von dort, wo Rath ihn hatte fallen lassen. “Die meisten Männer hätte ich für das, was Ihr getan habt, getötet, aber …”
Glaubte Gull etwa, er würde hier liegen bleiben und brav solch eine Demütigung schlucken? Ha! Rath schwang den Arm in weitem Bogen, erwischte Gull am Knöchel und brachte ihn zu Fall. Bevor Gull zu Boden stürzte, trat er Rath noch mit dem freien Fuß ins Gesicht. Rath zuckte zurück. Blut schoss aus seiner Nase.
Dieser kleine Teufel kämpfte mit seinen Füßen besser als doppelt so große Männer mit ihren Fäusten! Irgendein Teil von Raths Gehirn stellte das sachlich und unbeteiligt fest, während er gleichzeitig Gulls Fuß festhielt und dem Mann einen harten Schlag irgendwohin versetzte.
Mit Händen, Füßen, Knien und Ellbogen aufeinander eindreschend, rollten die Männer einige Zeit lang über Deck.
“Hört sofort damit auf!”, schrie Maura wutentbrannt. “Alle beide!”
Zu Raths Ehre muss gesagt werden, dass er wirklich einen Moment lang zögerte. Doch Gull nutzte diesen Moment und stieß ihm ein spitzes Knie in den Unterleib. Rath brüllte auf vor Schmerz, aber es gelang ihm, die Hand um Gulls dünnen Hals zu legen und mit aller Macht zuzudrücken.
Gerade als er es so richtig genoss, zuzusehen, wie Gulls Augen hervortraten, ergriff ihn ein bekanntes, aber verhasstes Gefühl, das seine Hände kraftlos werden und zusammen mit dem Rest seines Körpers erstarren ließ. Gull schien es nicht anders zu ergehen, denn er zog keinen Vorteil aus Raths Lähmung und landete keinen weiteren Schlag. Stattdessen äußerste
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