Das Orakel von Margyle
Frau betrat den Innenhof. Sie trug einen Korb mit Flachs in der einen und eine Spindel in der anderen Hand. “Wer sollte uns um diese Zeit besuchen?”
Eine andere Frau, ein wenig älter und gebeugter, folgte ihr. “Was hat der Junge gesagt, Lib?”
Die Frau mit der Spindel wandte sich um und rief: “Besuch, Jule!”
“Oh. Wer besucht uns denn um diese Zeit?”
Die beiden Frauen blickten Maura scharf an.
Sie verbeugte sich. “Verzeiht, wenn ich ungelegen komme. Ich hoffe, hier Verwandte von mir zu finden. Mein Name ist Maura und meine Mutter war Dareth Woodbury.”
Libs Korb fiel mit einem leisen Plumps auf die Fliesen und die Spindel folgte scheppernd nach, was die Frau allerdings gar nicht zu bemerken schien. Sie starrte Maura nur an und schlug zitternd eine Hand vor den Mund.
“Was hat das Mädchen gesagt?”, fragte Jude.
“Das Mädchen behauptet …”, Lib versagte die Stimme, “… sie sei Dareths Tochter.”
“Dareth?” Jude hob die heruntergefallene Spindel und den Korb auf. “Oh, das kann nicht sein. Es muss sich um einen Irrtum handeln.”
“Aber schau sie doch nur an. Sie ist ihr reinstes Ebenbild.” Jude trat näher und legte den Kopf schief. “Das ist sie. Aber wie kann das sein?”
Lib fand ihre Fassung wieder. “Nun, steh hier nicht herum wie eine völlig Fremde, Liebes.” Sie nahm Mauras Arm. “Komm herein! Ich bin die Tante deiner Mutter und Jude hier ist eine Cousine von uns.”
“Geht spielen”, rief sie den Kindern zu. “Du allerdings nicht, Bran.” Sie winkte ihren Enkel heran. “Du bist ein guter, kluger Junge, weil du die Dame hierher gebracht hast. Jetzt möchte ich, dass du losläufst und Tante Zelle holst und Onkel Mayer und …” Sie ratterte eine ganze Liste von Namen herunter, bis sich Maura der Kopf drehte.
“Sind das alles meine Verwandten?”, fragte sie, als der Junge losgerannt war. Nach Jahren, in denen sie nur Langbard gekannt hatte, der kein Blutsverwandter von ihr war, überwältigte sie der Gedanke an eine so große Familie – aber auf die angenehmste Art.
“Ach du liebe Güte, nein, Liebes.” Lib kicherte. “Das ist noch nicht einmal die Hälfte! Nur die nächsten Verwandten, die hier in der Nähe wohnen.”
“Dareths Kind?” Jude schüttelte den Kopf, während Lib Maura zu einer Gruppe von Stühlen zog, die in einer schattigen Ecke des Innenhofs standen. “Wer hätte das gedacht? Was ist aus der armen Dareth geworden? Das Letzte, was wir hörten, war, dass sie und Vaylen von den Han gefangen genommen worden waren. Seitdem kein Wort mehr.”
Maura setzte sich zwischen ihre beiden Verwandten und erzählte alles, was sie über ihre Mutter wusste, was leider nicht viel war. Atemlos und etwas benommen schloss sie mit der Frage: “Wer war dieser Vaylen, von dem ihr gesprochen habt? Und wie kam es, dass meine Mutter auf dem Festland von den Han gefangen genommen werden konnte?”
Die beiden Frauen sahen sich an, als würden sie schweigend aushandeln, welche von beiden sie aufklären sollte. Es war Lib, die endlich sprach. “Vaylen war der Sohn des letzten Markgrafen von Tarsh. Er führte einen Aufstand gegen die Han an. Oh, das muss zwanzig Jahre her sein. Eine Zeit lang war Tarsh befreit.”
Tarsh befreit? Diese Neuigkeit war für Maura ziemlich überraschend.
“Mein Bruder Brandel …”, Libs Stimme stockte für einen Augenblick, “… dein Großvater wollte Vaylen unbedingt unterstützen. Er war überzeugt, dass nach Tarsh auch Norest sich erheben könnte, dann die Südmark oder das Diesseitsland. Er drängte den Rat, Tarsh mehr Männer zu schicken, aber viele der Weisen waren der Meinung, die Inseln wären in Gefahr, wenn die Han herausfanden, dass wir den Rebellen halfen.”
Kein Wunder, dass Idrygon so gut über ihren Großvater gesprochen hatte, dachte Maura. Brandel Woodbury hörte sich nach einem Mann so ganz nach Idrygons Herzen an. Aber wie passte hier ihre Mutter hinein? Lib verlor keine Zeit und kam genau darauf zu sprechen. “Nach vielen geheimen Verhandlungen mit Tarsh war Brandel einverstanden, eine seine Töchter zu schicken, damit sie Vaylen heiratete. Er dachte, wenn ein vestanischer Abkömmling von Abrielle auf dem Thron von Tarsh saß, würde der Rat sich den Rebellen gegenüber mutiger und großzügiger zeigen.”
“So war dieser Vaylen also mein Vater? Und ihr sagt, dass beide, er und meine Mutter, von den Han gefangen genommen wurden?”
Die zwei alten Frauen nickten schwach, als ob dieser Kummer
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