Das Orakel von Margyle
müssen einfach trotzdem unser Bestes versuchen.”
“Das müssen wir”, murmelte Rath, während sie einen steilen Hang hinunter zum Ufer liefen. “Ich hoffe nur, dass unser Bestes gut genug ist.”
“Bis jetzt war es das.” Maura erzählte ihm, welchen Schluss sie und das junge Orakel daraus gezogen hatten, dass nämlich der Allgeber mit fehlerhaften Werkzeugen, wie sie es waren, vielleicht besser arbeiten konnte.
Rath dachte über die Worte nach, während sie sich die Schuhe auszogen. “Es wäre tröstlich, wenn man das glauben könnte.”
“Kannst du es nicht?” Maura führte ihn zum Strand, wo mit weißem Schaum gekrönte Wellen im beruhigenden, nie endenden Rhythmus an Land rollten. “Nicht einmal hier?”
Rath starrte zum weiten Horizont, doch selbst dieser wundervolle Ausblick konnte seine kaum merkliche Anspannung einfach nicht lösen.
“Einst stand meine Mutter hier”, sagte Maura, “und betrachtete einen Sonnenuntergang wie diesen. Es ist die lebhafteste Erinnerung, die Langbard mir von ihr übermittelt hat. Als ich den Ort zum ersten Mal mit eigenen Augen sah, verschlug es mir den Atem. Nicht nur wegen seiner Schönheit, sondern weil ich mich ihr so nahe fühlte.”
Sie schlenderten am Strand entlang, die kühle Brandung spülte ihnen über die Füße und der nach Tang duftende Wind spielte mit ihren Haaren. Die Jagdschreie der über ihnen hin und her schießenden Seevögel schallten durch die zunehmende Dunkelheit. Raths Hand haltend erzählte Maura ihm die Geschichte ihrer Mutter, soweit sie sie von ihren Verwandten erfahren hatte.
“Deine Mutter war ein tapferes Mädchen”, sagte Rath, als sie geendet hatte. “Wie ihre Tochter. Und dein Vater scheint ein nobler Bursche gewesen zu sein. Wie schade, dass du sie nie kennengelernt hast und dass sie ihr Leben umsonst geopfert haben.”
“Aber verstehst du denn nicht?” Maura drehte sich zu ihm um. “Es war nicht umsonst. Wäre meine Mutter nicht nach Tarsh gegangen, wäre ich nicht gezeugt worden. Hätte sie dann nicht irgendwie den Han entkommen können und den Weg nach Windleford gefunden, wären all die Prophezeiungen über die Auserkorene Königin nie wahr geworden. Zum Beispiel die Voraussagen über meine Abstammung von Abrielle und dass Langbard mich aufziehen würde. Wenn es uns gelingt, Umbria zu befreien, werden meine Eltern nicht umsonst gestorben sein.”
Ihre Worte konnten die dunklen Wolken, die über Rath zu hängen schienen, nicht vertreiben.
“Was bedrückt dich,
Aira?”
Sie hob die Hand und strich mit dem Rücken der Finger über seine Wange. “Und beleidige jetzt nicht meinen Verstand, indem du behauptest, es wäre nichts.”
“Du hast bei deiner kleinen Freundin, dem Orakel, Unterricht genommen, nicht wahr?” Auch wenn seine Stimme schroff klang, so genoss er doch ganz offensichlich ihre Zärtlichkeit. Er rieb die Wange, die glatter rasiert war als jemals zuvor, an ihrer Hand. Fast schien es, als gehörte sie einem anderen Mann.
“Du bist leichter zu verstehen als eine von Delyons alten Schriftrollen”, neckte sie ihn. “Du ähnelst mehr einem Wirtshausschild, auf dem die Worte mit großen, einfachen Buchstaben geschrieben stehen und obendrein noch mit einem geschnitzten Bild drüber. Jetzt heraus damit. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, wie du denkst.”
“Nun gut denn.” Er atmete tief die salzige Meeresluft ein. “Es gibt da etwas, das ich von dir wissen möchte, und denk dran, es
muss
die Wahrheit sein.”
“Rath Talward!” Sie riss die Hand zurück, als hätte er eine Nadel in sie gestochen. “Glaubst du etwa, ich würde dich anlügen?”
“Um meine Gefühle zu schonen? Ja, das würdest du. Oder wenn du meinst, andere gute Gründe dafür zu haben. Hast du vergessen, wie du mich auf der Reise nach Prum mit Geschichten von einer alten Tante und einer arrangierten Heirat, die auf dich wartet, an der Nase herumgeführt hast?”
“Das war etwas ganz anderes!”, protestierte Maura. “Damals kannte ich dich kaum. Und es wäre sehr gefährlich gewesen, herumzuspazieren und jedem zu erzählen, dass ich die Auserkorene Königin bin. Doch jetzt, wo wir im Begriff sind zu heiraten, wirst du von mir die Wahrheit hören, das verspreche ich dir.”
Eine eiskalte Welle der Angst überfiel sie und verdrängte ihren aufflammenden Zorn. Welche Frage wollte er ihr wohl stellen, von der er befürchtete, sie würde sie nicht ehrlich beantworten?
“Wir werden bald heiraten”, wiederholte
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