Das Orakel von Port-nicolas
unterbrach ihn Louis.
»Die Maschine soll sich zum Teufel scheren«, antwortete Marc und knüllte seine Nachricht zusammen. »Sie richtet nur Chaos an im Leben, im Mittelalter und im Sonnensystem. Du wirst sehen. Stell eine Frage, aber laut und deutlich, sonst funktioniert es nicht.«
»Laut? Ist das Vorschrift?«
»Ich habe es eingeführt, um zu wissen, woran du denkst. Ziemlich schlau, nicht?«
»Was willst du wissen?«
»Im wesentlichen, was du über den Mord denkst, was du von Pauline Darnas erhoffst, was du von der Akte M erwartest, derentwegen du Mathias versklavst. Nebenbei dann noch, was du über die Sonnenexplosion und über mich denkst.«
Kehlweiler ging auf die Maschine zu.
»Wir werden sie fragen. Hier muß man drehen?«
»Genau. Fünf Mal, richtig kräftig. Ich sammle dir die Antwort am Ende ein.«
Die Maschine ließ ihr gesamtes Räderwerk quietschen, Louis beobachtete das Phänomen mit Interesse.
»Das verblüfft dich, was? Da ist deine Botschaft. Lies sie selbst, ich schnüffle nicht in anderer Leute Briefen.«
»Es ist dunkel, ich habe mein Feuerzeug nicht dabei, ich habe meine Kröte nicht dabei, ich habe nichts. Lies es mir vor.«
»Bewahren wir die Ruhe. Erinnerung an Port-Nicolas. Was habe ich dir gesagt? Siehst du, wie nervig das ist? Die Ruhe bewahren, und was sonst noch?«
»Abwarten. Ich habe keine Antwort auf keine einzige der Fragen, die du mir gestellt hast. Ich verstehe die Geschichte von Marie Lacasta nicht, ich befürchte, daß ich die von Pauline verstehe, und was die Akte M angeht, so warten wir auf deinen Jäger und Sammler. In meiner Tasche hat es was Neues gegeben, ein erbärmliches Briefchen, das jemand reingesteckt hat, als wir im Café waren. Es gab da ein Paar in der Hütte Vauban, aber alle halten die Klappe, usw. Das warst nicht zufällig du?«
»Irgendwas in deine Tasche stecken? Das Risiko eingehen, deine dreckige Kröte zu berühren? Eine Gelegenheit verpassen, zu reden? Wie absurd. Erzähl mir die Einzelheiten.«
Die beiden Männer gingen langsamen Schrittes zum Hotel zurück. Louis erklärte Marc die Geschichte mit dem zusammengeknüllten Papier und sah zugleich auf seine Uhr.
25
Kaum war Mathias ins Hotel gekommen, nahm Kehlweiler ihm die Mappe aus den Händen und schloß sich in seinem Zimmer ein.
»Schon seit einer halben Stunde krieg ich keinen geraden Satz mehr aus ihm heraus«, sagte Marc zu Mathias. »Hast du dir die Mappe angesehen?«
»Nein.«
Marc brauchte nicht nachzufragen: Bist du dir sicher, daß du sie dir nicht angesehen hast?, denn wenn Mathias ja sagte oder nein, dann war das wirklich ja oder nein, nicht nötig, der Sache genauer nachzugehen.
»Du hast eine edle Seele, heiliger Matthäus. Ich glaube, ich hätte einen Blick darauf riskiert.«
»Ich habe meine Seele nicht prüfen können, die Mappe war mit der Heftzange zugeheftet. Ich gehe ans Meer.«
Marc nahm sein Fahrrad und begleitete Mathias zum Strand. Mathias sagte nichts dazu. Er wußte, daß Marc selbst zu Fuß gern ein Fahrrad schob, wenn sich Gelegenheit dazu bot. Es diente ihm als Pferd, als Lehnsherrenstreitroß, Bauerngaul oder Indianerhengst, je nachdem. Marc hatte bemerkt, daß Mathias trotz der Kälte entschlossen barfuß in seinen mönchischen Sandalen lief und frei von jeglichem Raffinement gekleidet war, die Stoffhose in der Taille mit einem einfachen Strick zusammengehalten, den Pullover auf der bloßen Haut, aber auch er sagte nichts dazu. Man würde den Jäger und Sammler nicht ändern können. Sobald er konnte, legte Mathias alle Kleidung ab. Wenn man ihn nach dem Grund dafür fragte, sagte er, Kleider engten ihn ein.
Marc schob mit schnellen Schritten sein Fahrrad, um Mathias zu folgen, der außerordentlich lange Beine hatte, und erklärte ihm die Verhältnisse im Ort, während Mathias schweigend zuhörte. Marc hätte das Ganze in fünf Minuten zusammenfassen können, aber er mochte Umwege, Nuancen, Einzelheiten, flüchtige Eindrücke, sprachliche Spitzenklöppelei, all jene rednerischen Ausarbeitungen, die Mathias einfach Geschwätz nannte. Marc war gerade dabei, in großen Zügen die düstersten Quadrate des Schachbretts zu schildern, das heißt, die melancholische Stimmung von Lina Sevran, die zwei Gewehrschüsse in das Maul des Hundes, das Fischige des Bürgermeisters, die bleierne Masse von René Blanchet, die kleinen Hände von Marie in den Mülltonnen dieses alten Dreckskerls, das Verschwinden des Spaniers Diego, die schriftliche Denunzierung eines
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