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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Sevran.
    »Die Frau des Ingenieurs«, sagte Marc mit dumpfer Stimme. »Wo hast du sie gefunden?«
    »Nicht weit, versteckt in einem Gehölz. Ich habe sie atmen hören. Mach dir keine Sorgen, ich tue ihr überhaupt nicht weh.«
    Lina Sevran bewegte sich nicht, weinte nicht, sagte nichts. Sie zitterte, wie am Mittag, nachdem sie den Hund erschossen hatte.
    »Beeil dich«, sagte Mathias.
    Marc rannte zu seinem Fahrrad, schleuderte es mit einem Fußtritt hoch und raste in den Ort.
    Ohne zu klopfen, riß er heftig die Tür zu Kehlweilers Hotelzimmer auf. Louis schlief nicht, er hob den Blick und schob rasch ein paar Papiere zusammen, die auf seinem Tisch ausgebreitet waren, alte Papiere aus der gelben Akte, die mit Notizen und Skizzen versehen waren. Marc war außer Atem, er sah in ihm ungefähr dasselbe Gesicht wie vorhin, das heißt, seiner Vorstellung nach das Gesicht eines Goten von der unteren Donau, der bereit ist, gegen die Hunnen zu kämpfen. Einen Augenblick lang sah Marc ein Mosaik von Konstantinopel vor seinen Augen vorüberziehen, das einen schönen Barbarenkopf mit dunklem Haar darstellte, das wirr in die helle Stirn hing.
    »Wo kommst du denn her?« fragte Louis und stand auf. »Hast du dich geprügelt?«
    Marc sah kurz an sich herunter. Seine Kleidung war vom Klettern verschmutzt und durchnäßt, und er hatte noch Blut an der Hand.
    »Mach schnell, ruf Hilfe. Der junge Gaèl liegt unten auf den Felsen, er ist ganz blutverschmiert. Direkt hinter dem Holzkreuz, Mathias ist da.«
    Fünf Minuten später ging Marc denselben Weg zurück, Louis neben sich.
    »Mathias hat etwas gehört«, sagte Marc.
    »Lauf nicht so schnell, red nicht so schnell. Und du hast nichts gehört?«
    »Ich bin kein Jäger und Sammler«, sagte Marc und wurde lauter. »Ich bin ein normaler Mensch, zivilisiert, gebildet. Meine Augen sehen nicht im Dunkeln, meine Ohren nehmen nicht jeden Lidschlag war, meine Nasenflügel erschnuppern nicht die leichtesten Schweißausdünstungen. Mathias dagegen hört noch die Auerochsen, die mal vor der Höhle von Lascaux vorbeigezogen sind, das Ergebnis kannst du dir vorstellen. In der Sahara kündigt er dir den Paris-Straßburg-Express an, du kannst dir ja ausmalen, wie praktisch das ist.«
    »Mensch, beruhig dich doch, verdammt. Mathias hört also was, und dann?«
    »Dann? Er rennt los, wir finden Gaèl – ich glaube, es ist Gaèl –, der zweihundert Meter entfernt runtergeworfen wurde, und während ich bei dem armen Kerl bleibe, rennt Mathias sofort wieder los, um seine Beute einzufangen.«
    Louis blieb auf dem Weg stehen.
    »Stimmt«, sagte Marc. »Ich hab noch nicht die Zeit gehabt, dir alles zu sagen. Mathias ist mit Lina Sevran zurückgekommen, die sich ganz in der Nähe versteckt hielt.«
    »Verdammt! Und was habt ihr gemacht?«
    »Mathias hält sie fest, mach dir keine Sorgen.«
    »Kann sie ihm entwischen?«
    Marc zuckte mit den Achseln.
    »In der Baracke trägt Mathias immer die Brennholzstapel. Aber ohne dem Holz weh zu tun, denn Mathias mag das Holz. Ich trage die kleinen Müllsäcke. Schau, da hinten blinkt es, die Hilfe ist eingetroffen.«
    Louis hörte Marc tief atmen.
    Mathias stand noch immer auf dem Felsen und hielt Lina Sevran mit einer einzigen Hand. Unten machten sich Männer um Gaèls Körper zu schaffen.
    »Was gibt das?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Mathias. »Sie haben eine Trage und Geräte runtergebracht.«
    »Und Guerrec?« fragte Marc. »Man muß Guerrec Bescheid sagen.«
    »Ich weiß«, erwiderte Louis, während er Lina ansah. »Auf fünf Minuten kommt es nicht an. Wir haben Zeit, ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Führ sie da hin, Mathias.«
    Mathias schob Lina vorsichtig ein Stück hinter die Felskante zurück.
    »Gleich kommt Guerrec«, sagte Louis zu ihr.
    »Ich habe ihn nicht runtergestoßen«, murmelte Lina.
    »Warum runtergestoßen? Er hätte doch von allein gefallen sein können.«
    Lina senkte den Kopf, und Louis richtete ihn ihr wieder auf.
    »Er ist von allein gefallen«, sagte Lina.
    »Oh, nein. Sie wissen, daß er runtergestoßen wurde, und gerade haben Sie es beinahe gesagt. Gaèl ist von hier, er kennt in den Felsen jeden Stein. Warum haben Sie sich hier draußen versteckt?«
    »Ich bin spazierengegangen. Ich habe einen Schrei gehört und Angst bekommen.«
    »Mathias hat keinen Schrei gehört.«
    »Er war weit weg.«
    »Es gab keinen Schrei«, sagte Mathias.
    »Doch. Gaèl hat geschrien. Ich habe Angst bekommen und Schutz gesucht.«
    »Wenn Sie Angst

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