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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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niemanden mehr, er ließ den Dingen in stolzem Schweigen ihren Lauf. Damals habe ich mir gedacht, Grund dafür sei wohl sein iberisches Naturell, da war ich noch jünger und kategorischer. Und doch erinnere ich mich seinetwegen an diesen tränenreichen Lokaltermin auf dem knarrenden Parkett, an sein verschlossenes Gesicht. Er war mein einziges Licht in diesem Fall, und die Flamme war erloschen. Das ist alles. Man braucht nicht viel, um zu zweifeln, aber ich spreche für mich.«
    Louis blieb fünf Minuten lang mit verschränkten Armen auf seinem Bett sitzen. Aufstehen, irgendwas essen gehen.
    Als er das Zimmer verließ, hob er eine Nachricht vom Boden auf, die unter der Tür durchgesteckt worden war und die er beim Hereinkommen nicht bemerkt hatte.
     
    »Wenn du mich suchst, ich bin bei der Maschine, offene Fragen. Paß auf deine Mistkröte auf, sie macht Dummheiten im Bad.
    Marc«
     
    Louis bat den Hotelier um Brot und zwei Bananen und brach zu Fuß zur Maschine auf. Er ging langsam. Guerrec gefiel ihm nicht allzusehr, zu herb der Typ. René Blanchet gefiel ihm nicht. Der Bürgermeister, der harmloser war, gefiel ihm nicht. Das anonyme Briefchen gefiel ihm nicht. Darnas gefiel ihm, dabei war er es doch, den er gerne niedergemacht hätte. Kein Glück. Mit Sevran konnte man sich verstehen, vorausgesetzt, man redete nicht von Hunden, aber der Hund war tot. Was die Frauen anging, so gefiel ihm das Gesicht der alten Marie, es verfolgte ihn sogar, aber man hatte sie umgebracht. Lina Sevran begann ebenfalls, ihm nicht mehr aus dem Kopf zu gehen. Sie hatte den Hund getötet, und diese Tat hatte nichts Gewöhnliches, was immer ihr Mann, der große Anstrengungen unternommen hatte, um sie zu beschützen, auch darüber sagte. Er schien sie die ganze Zeit zu beschützen, die Hand auf ihren Schultern, zu beschützen, zu besänftigen oder zurückzuhalten. Was Pauline betraf, so gefiel sie ihm noch immer, auch da kein Glück. Denn Pauline machte nicht den Eindruck, sich nähern zu wollen, sie war starr vor Herausforderung oder vor wer weiß was anderem. Gut, er hatte gesagt, daß er sie in Ruhe lassen würde, da konnte er sich auch ein bißchen anstrengen, um sein Versprechen zu halten. Es ist schön, zu versprechen, das macht man ohne Schwierigkeiten, aber dann muß man es halten, das ist ziemlich nervig. In diesem Augenblick mußte Mathias mit der gelben Mappe bereits im Zug sitzen. An diese Unterlagen zu denken erforderte eine kleine Anstrengung. Es war ein drückender, beißender Gedanke, der einen latenten Kopfschmerz bei ihm auslöste.
    In der Ferne sah er die seltsamen dunklen Umrisse der hohen Maschine, von der Marc ihm erzählt hatte. Als er näher kam, hörte er dumpfe Vibrationen, Gerassel, Knirschen. Kehlweiler schüttelte den Kopf. Marc wurde zum Adepten der unnützen Maschine. Was er wohl wieder für eine idiotische Frage gestellt haben mochte? Und welche Maschine würde je mit den unvereinbaren Gegensätzen von Vandoosler dem Jüngeren fertig werden, mit seiner sprunghaften Erregbarkeit, die im Widerspruch stand zu seiner fleißigen Konzentration? Louis hätte noch nicht sagen können, was sich bei diesem Typen stärker manifestierte, seine tiefen, ruhigen Tauchgänge oder die Kopflosigkeit des Badenden, der zu ertrinken meint. Hätte er ihn als zierlichen Wal beschrieben, als Langstreckenschwimmer der Tiefen, der entschlossen seine Bahn zieht, oder als atemlosen jungen Hund, der sich an der Oberfläche der Wellen abstrampelt?
    Marc stand vor der Maschine und las im Schein seines Feuerzeugs die Botschaft, die sie ihm gerade geliefert hatte, während er leise vor sich hin sang. Abzustrampeln schien er sich nicht. Es war nicht das erste Mal, daß Kehlweiler ihn singen hörte. Er blieb ein paar Meter entfernt stehen, um zu sehen und zu hören. Wäre nicht der Mord an dieser alten Frau gewesen, der ihn erboste, und die bitteren Gedanken in Zusammenhang mit der gelben Mappe, die ihm entgegenfuhr, hätte er die Szene geschätzt. Die Nacht war kalt, der Regen hatte aufgehört, die verblüffende Maschine hatte ihr Quietschen unterbrochen, und dort in der Nacht stand Vandoosler der Jüngere allein und sang.
     
    »Leb wohl, mein Leben, adieu, l’amour, lebt wohl ihr Frauen alle,
    Noch nicht vorbei, für immer gilt’s, im Krieg voll Pech und Galle
    Dort in Craonne auf dem Plateau, da lassen wir das Leben
    Denn dazu sind wir all’ verdammt, wir sind dem Tod gegeben.«
     
    »Was hat dir die Maschine geantwortet?«

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