Das Paradies am Fluss
und einzuschalten.
Doch noch währenddessen wird sie sich wieder einer Präsenz bewusst: der Widerhall leichter Schritte auf den glänzenden Bodendielen, gedämpftes Lachen, das plötzlich abbricht. Sie wendet den Kopf und horcht, aber sie empfindet keine Angst. Während sie ihren Tee zubereitet und ihn mit zur Balkontür nimmt, fühlt sie sich von einer eigentümlichen Freude erfüllt. Sie öffnet die Tür nicht, sondern steht nur da, trinkt den Tee und sieht zu, wie der Nebel über das Wasser treibt.
Je höher die Sonne steigt, desto stärker wird er von goldenem Licht erfüllt. Er wird dünner und zerfällt in Fetzen, und sie kann schattenhafte schwarze Umrisse erkennen: die Boote, die geisterhaft an den Anliegern dümpeln. Jetzt sind es nur noch Nebelfetzen, die in den Bäumen im Tal hängen und wie Rauch über die Schornsteine von Cargreen wehen. Die Sonne wird stärker, und Jess schiebt die Tür auf, tritt auf den Balkon und zieht die Jacke fester vor der Brust zusammen. Sie hört ein leises, rhythmisches Plätschern und sieht ein Ruderboot, das über den Fluss gleitet und sich einem Boot nähert, das in der Fahrrinne vor Anker liegt. Das Boot verschwindet hinter dem Rumpf der größeren Jacht, und Jess kann an Bord eine männliche Gestalt erkennen, die eilig an Deck klettert. Sie hört einen Motor anspringen, und dann bewegt sich das Boot von der Anlegestelle weg. Der Mann steht am Steuerruder, und als er sich auf der Höhe der alten Segelwerkstatt befindet, hebt er grüßend eine Hand. Sie winkt zurück und sieht dann dem Boot nach, das mit der Ebbe flussabwärts verschwindet und das Beiboot, das an der Boje festgemacht ist, schaukelnd hinter sich zurücklässt.
Später, als sie mit Rowena im Morgensalon sitzt, hat sich der Nebel aufgelöst, und Sonnenschein erfüllt den Raum. Sorgfältig sortierte Fotos liegen auf der polierten Oberfläche des Mahagoni-Tisches, und Jess beugt sich vor, um sie anzusehen. Sie nimmt eines hoch, doch Rowena hindert sie rasch daran.
»Dieses hier zuerst«, sagt sie. »Ich habe sie ein wenig geordnet.« Jess lehnt sich gehorsam zurück und wartet darauf, dass sie ihr die Bilder zeigt.
Nach den ersten paar Fotos wird ihr langsam klar, dass die alte Dame auf etwas Bestimmtes hinauswill. Es sind Schnappschüsse, die bei Partys, Tanzveranstaltungen und anderen Treffen aufgenommen sind und bei denen keine spezielle Person im Mittelpunkt steht. Alle sind schwarz-weiß und leicht körnig, aber die Stimmung, die sie wiedergeben, ist klar. Das sind glückliche Zeiten. Mehrere Aufnahmen zeigen den festlich geschmückten Seegarten, über dem die Circe als wohlwollende, wunderschöne Gastgeberin waltet.
Die nächste Gruppe von Bildern ist persönlicher: Mehrere junge Offiziere in Uniform posieren leicht verlegen für die Kamera, sind jedoch immer noch zu klein, um sie zu erkennen, obwohl Rowena ihre Namen nennt. Jess zieht die Augen zusammen, um die leicht verschwommenen Gesichter zu betrachten.
»Aber das hier«, erklärt Rowena, »ist schärfer«, und sie legt Jess ein größeres, offizielleres Foto vor, lehnt sich zurück und wartet auf ihre Reaktion.
Die Braut, die Blumen in ihr langes, glänzendes Haar gesteckt hat, ist wunderschön. Sie trägt ein einfaches weißes Kleid mit einem hohen, verstärkten Spitzenkragen und langen Ärmeln und sieht mit einer Art erfreutem Erstaunen in die Kamera. Der stolze, selbstbewusste Bräutigam ist in Galauniform und steht in beschützerischer Haltung neben seiner Braut; eine Hand hat er auf den Knauf seines Schwertes gelegt.
»Sie haben das Bild noch nie gesehen?«, fragt Rowena.
Jess schüttelt den Kopf, bringt aber kein Wort heraus. Die Ähnlichkeit ist beinahe schockierend.
»Juliet hat es mir nach der Hochzeit geschickt. Jetzt sehen Sie auch, warum wir alle so auf Sie reagiert haben. Es ist, als wäre Juliet zu uns zurückgekehrt.«
Immer noch sieht Jess das Foto von Juliet und Mike unverwandt an.
»Es ist ein Jammer, dass es in Schwarz-Weiß ist«, sagt Rowena gerade, »doch Farbaufnahmen waren in den Sechzigern noch sehr unüblich. Und hier ist noch ein Foto, das Sie vielleicht interessiert.«
Sie legt eine großformatige Fotografie auf den Tisch, und Jess, der immer noch Juliets Bild im Kopf herumgeht, nimmt sie in die Hand. Sie blickt auf eine kleine Gruppe hinunter; eine Nahaufnahme, die ein Berufsfotograf bei einer offiziellen Gelegenheit, aber in einem spontanen Moment gemacht haben muss. Die sechs jungen Männer sind entspannt
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