Das Paradies der Damen - 11
hinzu:
»Wer ein Freund von Knochen ist, kann sie für hundert Sous haben.«
Doch plötzlich duckte er den Kopf.
Deloche, einer unwiderstehlichen Regung nachgebend, schüttete ihm ein volles Glas Wein ins Gesicht.
»Schmutziger Lügner! Das hättest du schon gestern verdient!«
Jetzt gab es großes Aufsehen. Einige Tropfen Wein waren auf die Nachbarn gespritzt, Favier selbst waren nur die Haare ein wenig naß geworden. Alle waren wütend. Schlief Deloche denn mit ihr, daß er sie so in Schutz nahm? Dieser Narr! Er hätte ein paar Ohrfeigen verdient, damit er lernte, wie man sich in Gesellschaft benahm. Indessen wurde es bald wieder still, denn der Inspektor nahte, und es war überflüssig, daß er von diesem Streit erfuhr. Favier begnügte sich mit der Bemerkung:
»Das hätte einen schönen Tanz gegeben, wenn er mich richtig getroffen hätte.«
Schließlich ging die Sache in Sticheleien unter.
Deloche saß unbeweglich auf seinem Stuhl; er nahm keine Kenntnis von den Scherzen, die auf seine Kosten gemacht wurden, er bereute, was er getan hatte. Diese Leute hatten ganz recht: mit welchem Recht verteidigte er sie? Nun würde man das Schlimmste glauben. Er hätte sich am liebsten geohrfeigt, weil er Denise bloßgestellt hatte, indem er sie schützen wollte. Die Tränen traten ihm in die Augen. War es denn nicht auch seine Schuld, daß schon das ganze Haus von dem Brief sprach, den der Chef ihr geschrieben hatte? Er hörte sie rohe Witze reißen über diese Einladung und beschuldigte sich selbst; er hätte Pauline nicht vor Liénard sprechen lassen sollen. Er machte sich allein verantwortlich für alles.
»Warum haben Sie die Geschichte weitererzählt?« fragte er Liénard vorwurfsvoll. »Das war schlecht von Ihnen.«
»Ich habe sie nur einem oder zweien erzählt«, erwiderte Liénard, »und habe verlangt, sie sollten es für sich behalten. Aber man weiß nie, wie so etwas weiterläuft.«
Das Mahl war zu Ende: die Verkäufer saßen auf ihren Stühlen, harrten des Glockenzeichens und unterhielten sich. Der Lärm der Stimmen war so laut, daß die Glocke, als sie schließlich ertönte, nur von den bei der Tür Sitzenden gehört wurde. Allmählich erhoben sich alle und begaben sich in langer Reihe über den Flur wieder in die Geschäftsräume hinab.
Deloche war als einer der letzten fortgegangen, um die nicht enden wollenden Spötteleien nicht zu hören. Selbst Baugé war schon weg, der sonst immer der letzte war. Er machte gewöhnlich einen Umweg, um Pauline in dem Moment zu begegnen, da diese sich in den Speisesaal der Verkäuferinnen begab. Sie hatten dieses Manöver verabredet; es war das einzige Mittel, sich während der langen Arbeitsstunden kurz zu sehen.
Als sie sich an diesem Tag begegneten und sich in einem Winkel des Korridors eben herzhaft küßten, wurden sie von Denise überrascht, die ebenfalls zum Essen kam. Sie ging ziemlich unbeholfen wegen ihres schmerzenden Fußes.
»Oh, meine Liebe!« stammelte Pauline hoch errötend, »sagen Sie nichts, bitte!«
Selbst Baugé, dieser Koloß, zitterte an allen Gliedern wie ein kleiner Junge. Er flüsterte:
»Sie würden uns sonst hinauswerfen. Wenn auch unser Aufgebot schon bestellt ist, so begreifen diese Kerle doch nicht, daß man sich hier und da einen Kuß geben will.«
Sehr verlegen tat Denise, als habe sie gar nichts gesehen. Baugé entfloh gerade, als Deloche, der als letzter herabkam, erschien. Er wollte sich entschuldigen und stammelte allerlei, was Denise nicht sogleich begriff. Als er aber Pauline Vorwürfe machte, daß sie in Gegenwart Liénards gesprochen habe, und Pauline offensichtlich ein schlechtes Gewissen hatte, begriff Denise endlich das Geflüster, das schon seit dem Morgen hinter ihr herlief. Die Geschichte mit dem Brief ging um! Sie schrak wieder zusammen wie in dem Augenblick, als sie ihn erhalten hatte. Es war ihr, als stünde sie nackt und bloß vor all diesen Männern da.
»Ich wußte nicht, daß Liénard in der Nähe war«, stammelte Pauline. »Übrigens ist ja nichts Schlimmes dabei! … Läßt man die Leute eben reden; sie platzen ja alle nur vor Neid!«
»Ich bin Ihnen gar nicht böse, meine Liebe«, sagte Denise mit ihrer ruhigen Besonnenheit. »Sie haben nur die Wahrheit gesagt. Ich habe einen Brief erhalten, und es ist meine Sache, darauf zu antworten.«
Deloche entfernte sich tiefbekümmert, denn er entnahm daraus, daß Denise die Einladung annehmen und sich zum Abendessen einfinden werde.
Als Denise nach Tisch in
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