Das Paradies der Damen - 11
Auskunft zu bitten.
»Ich komme gleich«, erwiderte die Abteilungsleiterin.
Als sie somit ihre Würde gewahrt sah und in den Augen der sie beobachtenden Mädchen einen Vorwand hatte, ließ sie Mouret und Denise endlich allein; sie trat mit einer solch königlichen Miene aus der Tür, daß keine ihrer Untergebenen auch nur zu lächeln wagte.
Mouret legte die Listen langsam auf den Tisch. Er betrachtete das junge Mädchen, das sich wieder gesetzt hatte.
»Werden Sie kommen?« fragte er sie endlich halblaut.
»Nein«, erwiderte sie; »ich kann nicht. Meine Brüder sind heute abend bei meinem Onkel drüben; ich habe versprochen, mit ihnen zu essen.«
»Aber Ihr Fuß? Das Gehen macht Ihnen doch Schmerzen!«
»So weit kann ich schon gehen; ich fühle mich seit heute morgen besser.«
Bei dieser ruhigen Weigerung war er blaß geworden, seine Lippen zuckten nervös. Er hielt indessen an sich und sagte mit der Miene des wohlmeinenden Chefs, der sich einer Angestellten freundlich erweisen will:
»Und wenn ich Sie bitte? Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze …«
Denise bewahrte ihre achtungsvolle Haltung und antwortete:
»Ich bin sehr gerührt von Ihrer Güte und danke Ihnen für Ihre Einladung. Aber ich kann nicht; ich wiederhole: meine Brüder erwarten mich heute abend.«
Sie wollte ihn durchaus nicht verstehen. Die Tür war offengeblieben, und sie hatte das Gefühl, als dränge das ganze Geschäft sie, ja zu sagen. Pauline hatte sie wie ein dummes Gänschen behandelt, und die anderen würden sich gewiß über sie lustig machen, weil sie diese Einladung ausschlug. Frau Aurélie, die so taktvoll hinausgegangen war; Marguerite, deren Stimme sie immer lauter werden hörte; Lhomme, der ihr unbeweglich und verschwiegen den Rücken zukehrte: sie alle wollten ihren Fall, alle drängten sie sie dem Chef in die Arme.
Eine Weile schwiegen sie. Dann fragte Mouret:
»Wann werden Sie kommen? Morgen?«
Diese einfache Frage versetzte Denise in arge Verlegenheit. Sie verlor einen Augenblick ihre Ruhe und stotterte:
»Ich weiß nicht … ich kann nicht …«
Er lächelte und versuchte ihre Hand zu fassen, die sie ihm aber entzog.
»Was fürchten Sie denn?« fragte er.
Da blickte sie ihm gerade ins Gesicht und antwortete lächelnd und fest:
»Ich fürchte gar nichts, Herr Mouret … Aber man tut doch nur, was man will, und ich will nicht!«
Wieder schwieg sie, als sie zu ihrer Überraschung ein Knarren hörte. Sie wandte sich um und sah, wie die Tür sich langsam schloß. Es war der Inspektor Jouve, der es auf sich genommen hatte, sie zuzumachen; die Türen gehörten zu seinem Ressort, keine durfte offenbleiben. Niemand schien etwas bemerkt zu haben, nur Claire flüsterte Fräulein von Fontenailles, in deren Gesicht keine Wimper zuckte, ein freches Wort ins Ohr.
Mittlerweile hatte Denise sich erhoben. Da sagte Mouret mit leiser und bebender Stimme:
»Aber ich liebe Sie doch; Sie wissen es seit langer Zeit, treiben Sie kein grausames Spiel mit mir, als wüßten Sie es nicht … Haben Sie keine Angst. Ich hatte schon zwanzigmal die Absicht, Sie in mein Arbeitszimmer zu rufen. Dort wären wir allein gewesen, ich hätte nur den Riegel vorzuschieben brauchen. Aber ich wollte nicht. Sie sehen ja, daß ich hier mit Ihnen spreche, wo jeder hereinkommen kann. Ich liebe Sie, Denise!«
Sie stand totenblaß vor ihm und hörte ihn an, während sie ihm immer noch ins Gesicht blickte.
»Warum weigern Sie sich? Haben Sie keine Wünsche? Ihre Brüder sind Ihnen doch eine schwere Last. Alles, was Sie von mir verlangen würden –«
Sie unterbrach ihn:
»Danke, ich verdiene jetzt mehr, als ich brauche.«
»Aber ich biete Ihnen alle Freiheit, ein Leben voll Vergnügen und Luxus, ich will Ihnen eine eigene Wohnung einrichten, ein kleines Vermögen schenken!«
»Nein, danke, ich würde mich langweilen, wenn ich nichts zu tun hätte. Ich war noch nicht zehn Jahre alt, als ich mir schon selbst meinen Lebensunterhalt verdiente.«
Er machte eine verzweifelte Bewegung; das war die erste, die ihm nicht nachgab. Er brauchte sich nur zu bücken, um die anderen aufzulesen, alle harrten sie als willfährige Dienerinnen seiner Launen, und diese eine sagte nein, ohne auch nur einen vernünftigen Grund anzugeben. Sein so lange zurückgehaltenes, durch den Widerstand nur noch mehr aufgestacheltes Verlangen brach jäh hervor. Vielleicht hatte er ihr nicht genug geboten? Er verdoppelte sein Anerbieten, er drang noch mehr in sie.
»Nein, nein, ich
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