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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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leerten sich allmählich, während die erfaßten Artikel auf allen Seiten sich häuften und unter den Füßen und zwischen den Tischen unaufhörlich anwuchsen. Dazwischen tönte das fortwährende Geschrei der Stimmen, die Zahlen um Zahlen ausriefen.
    Favier arbeitete sich mühsam zwischen den Warenhaufen hindurch und begab sich in die Speisesäle, die seit der Erweiterung des Hauses in das vierte Stockwerk des Neubaus verlegt waren. Vor ihm gingen Deloche und Liénard die Treppe hinauf; ihm auf dem Fuß folgte Mignot.
    »Alle Wetter!« rief Favier, als sie vor der Tafel mit der Speisekarte standen, »man sieht, daß heute Inventur ist! Ein wahres Fest! Huhn oder Hammelkeulenschnitten und Artischocken in Öl! Die Hammelkeule wird schön hinten runterfallen.«
    Mignot seinerseits bemerkte höhnisch:
    »Da scheint irgendwo die Geflügelpest ausgebrochen zu sein.«
    Deloche und Liénard hatten inzwischen ihre Portionen genommen und gingen in den Speisesaal; Favier neigte sich zum Schalter hinunter und rief laut:
    »Huhn!«
    Allein er mußte warten, denn einer der Küchenjungen, der das Geflügel zerlegte, hatte sich in den Finger geschnitten.
    »Huhn!« wiederholte Favier ungeduldig.
    Dann wandte er sich zu Mignot und sagte:
    »Da hat sich einer in den Finger geschnitten; ekelhaft, so was!«
    Nach einer Weile erschien der Koch mit einer Pfanne und spießte ihm einen Schenkel auf.
    »Endlich!« murmelte Favier.
    Den Speisesaal der Verkäufer bildete jetzt ein ungeheurer Saal, in dem fünfhundert Gedecke bequem Platz fanden. Sie waren auf langen, parallel stehenden Tafeln aufgelegt, an den beiden Enden des Raumes standen die Tische für die Inspektoren und die Abteilungsleiter, in der Mitte befand sich ein Büfett für zusätzliche Speisen. Große Fenster rechts und links ließen volles, helles Licht herein. An den Wänden bildeten die Serviettenschränke den einzigen Schmuck. An diesen Speisesaal stieß ein anderer, der für die Laufburschen und die Kutscher bestimmt war, wo es aber keine regelmäßigen Mahlzeiten gab; die Leute wurden bedient, wie sie kamen.
    »Wie, Mignot, Sie haben auch einen Schenkel?« sagte Favier, als sie sich an einem der Tische einander gegenüber niedergelassen hatten.
    Auch die anderen Angestellten trafen mittlerweile ein und nahmen ringsum Platz. Es war kein Tischtuch aufgelegt, und die Teller gaben ein dumpfes Geklapper auf den eichenen Tischen. Alle waren erstaunt, denn die Anzahl der verteilten Schenkel war in der Tat sehr groß.
    »Das ist wirklich ein merkwürdiges Geflügel, das nichts als Beine hat«, bemerkte Mignot.
    Diejenigen, die Rumpfstücke bekommen hatten, ärgerten sich, und doch war das Essen seit der Neueröffnung weit besser geworden. Moutet hatte keinen Vertrag mehr mit einem Unternehmer, sondern führte die Küche selbst; er hatte daraus eine Abteilung gemacht wie die übrigen, mit einem Leiter, mehreren Gehilfen und einem Inspektor. Und wenn die Kost jetzt größere Auslagen verursachte, so arbeitete dafür das besser genährte Personal auch mehr. Diese wohlberechnete Menschlichkeit hatte Bourdoncle ganz aus der Fassung gebracht.
    Deloche saß zwischen Baugé und Liénard, Favier fast gegenüber. Sie schleuderten einander gehässige Blicke zu. Ihre Nachbarn flüsterten über den Streit vom Tag vorher. Schließlich lachte alles über das Mißgeschick Deloches, der immer am hungrigsten war und immer das schlechteste Stück bekam. Diesmal hatte er einen Hals erwischt.
    Ruhig und still ließ er diese Scherze über sich ergehen; er verschlang große Bissen Brot, während er den Hühnerknochen abschabte mit der Sorgfalt eines Menschen, der den Wert eines Stückchens Fleisch zu schätzen weiß.
    »Warum beschweren Sie sich nicht?« fragte Baugé.
    Deloche zuckte die Achseln.
    »Was nützt das?« sagte er, »Wenn man sich beschwert, wird es noch schlimmer.«
    Es dauerte nicht lange, bis Favier wieder bei seinem Lieblingsthema war.
    »Wissen Sie schon das Neueste?« sagte er zu seinem Nachbarn zur Rechten. »Er hat sie zum Essen eingeladen.«
    Der ganze Tisch wußte es; man hatte seit dem Morgen bereits zum Überfluß davon gesprochen. Die gleichen Scherze gingen von Mund zu Mund. Deloche war wieder ganz blaß geworden. Er schaute die andern an; seine Augen hafteten schließlich auf Favier, der wiederholte:
    »Wenn er sie noch nicht gehabt hat, so kriegt er sie jetzt. Und er ist nicht der erste, o nein! …«
    Nun blickte er seinerseits auf Deloche, dann fügte er herausfordernd

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