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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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die Konfektionsabteilung zurückkehrte, war Marguerite unter der Aufsicht von Frau Aurélie eben damit beschäftigt, die letzten Stücke auszurufen. Nun blieb nur noch die Kontrolle; um bei dieser Tätigkeit Ruhe zu haben, zog sich Frau Aurélie in die Stoffmusterabteilung zurück, wohin sie Denise mitnahm.
    »Kommen Sie, wir wollen vergleichen; dann können Sie addieren.«
    Allein da sie die Tür offenließ, um die Arbeitenden besser überwachen zu können, drang der Lärm herein, und man verstand auch in diesem Raum nur schwer. Es war ein großer, quadratischer Saal; die ganze Einrichtung bestand aus drei langen Tischen und zahllosen Stühlen. In einer Ecke stand die große Schneidemaschine für die Stoffmuster. Ganze Ballen wurden da zerschnitten; für sechzigtausend Franken wurden jährlich Probesendungen in alle Welt geschickt.
    »Leiser, meine Damen«, rief von Zeit zu Zeit Frau Aurélie, die nicht hören konnte, was Denise ansagte.
    Als das Vergleichen der ersten Listen beendet war, ließ Frau Aurélie Denise allein, damit sie ungestört addieren konnte. Sie kehrte aber bald wieder zurück und brachte Fräulein von Fontenailles mit, die Denise helfen sollte. Die Erscheinung der »Marquise« – wie Ciaire sie boshafterweise stets nannte – brachte die ganze Abteilung in Aufruhr. Man lachte und scherzte über Joseph; es fielen grausame Worte, die man durch die offene Tür hörte.
    Plötzlich verstummte das Gelächter, die Arbeit nahm wieder ihren regelmäßigen Fortgang. Mouret machte von neuem seinen Rundgang durch die Abteilungen. Er war überrascht, Denise nicht in der Konfektionsabteilung zu finden, und winkte Frau Aurélie herbei; sie traten beiseite und sprachen leise miteinander. Er mußte sie wohl gefragt haben, denn sie wies mit den Augen nach dem Stoffmustersaal und schien ihm Bericht zu erstatten. Ohne Zweifel erzählte sie ihm, daß das Mädchen am Morgen geweint habe.
    »Gut«, sagte Mouret dann laut. »Zeigen Sie mir die Listen!«
    »Sie sind da drinnen«, erwiderte Frau Aurélie; »wir mußten uns vor dem Lärm zurückziehen.«
    Er folgte ihr in den benachbarten Raum. Ciaire ließ sich durch das Manöver nicht täuschen; sie murmelte vor sich hin, es wäre doch besser, gleich ein Bett zu holen. Allein Marguerite warf ihr immer rascher die Kleidungsstücke zu, um sie zu beschäftigen und ihr den Mund zu schließen. War denn die Zweite nicht wirklich eine gute Kameradin? Ihre Privatangelegenheiten gingen keinen etwas an. Die ganze Abteilung verbündete sich stillschweigend. Lhomme und Joseph schrieben eifrig, über ihre Listen gebeugt, und schienen nichts zu hören. Der Inspektor Jouve, der Frau Aurélies Manöver sehr wohl bemerkt hatte, ging jetzt vor der Tür des Stoffmustersaales auf und ab mit den regelmäßigen Schritten einer Schildwache, die über die Herzensaffären eines Vorgesetzten wacht.
    »Geben Sie Herrn Mouret die Listen«, sagte Frau Aurélie beim Eintreten.
    Denise reichte die Listen hin und blieb stehen, die Augen ruhig zu ihm aufgeschlagen. Sie war beim Eintritt Mourets zusammengefahren, hatte sich aber gleich wieder gefaßt; sie war sehr blaß, doch sie hielt auf ihrem Posten aus. Mouret schien sich eine Weile ganz in die Ziffern zu versenken, ohne einen Blick für das Mädchen zu haben. Es herrschte Schweigen. Frau Aurélie trat schließlich zu Fräulein von Fontenailles, die nicht einmal den Kopf umgewandt hatte, und sagte ihr leise ins Ohr:
    »Gehen Sie nur hinüber; Sie sind ans Rechnen nicht gewöhnt.«
    Fräulein von Fontenailles erhob sich und ging in die Konfektionsabteilung, wo sie mit vielsagendem Getuschel empfangen wurde. Joseph, der die spöttischen Blicke der Mädchen auf sich ruhen fühlte, war so verlegen, daß er einen Fehler nach dem anderen machte. Claire hinwiederum war zwar froh über die unerwartete Hilfe, allein in ihrem Haß gegen alles Weibliche im Haus konnte sie es nicht lassen, Fräulein von Fontenailles mit allerlei Sticheleien zu kränken. War das blöd, sich in einen Arbeiter zu verlieben, wenn man Marquise war!
    »Sehr gut! Sehr gut!« wiederholte inzwischen Mouret im Nebenraum, während er tat, als lese er aufmerksam die Listen.
    Frau Aurélie war in größter Verlegenheit, wie sie sich unter einem passenden Vorwand entfernen sollte. Sie trippelte hin und her und war wütend darüber, daß ihr Mann nichts erfand, um sie hinauszurufen. Aber der war ja im Ernstfall nie zu etwas zu gebrauchen. Schließlich war Marguerite so schlau, sie um eine

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