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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Vor allem eines kehrte immer wieder, das Deck der Jerôme-Napoléon .Ein Offizier fragte dich: »Wo hat man dir die Nase gebrochen, Matrose Gauguin?« »Sie ist nicht gebrochen, Monsieur, sie ist so. Trotz meiner blauen Augen und meines französischen Namens bin ich ein Inka, Monsieur. Mein Merkmal ist meine Nase.« Es war dunkel geworden; als er die Augen aufschlug, sah er Sterne und zitterte vor Kälte. Er schlief ein, erwachte, schlief abermals ein, und plötzlich wußte er mit absoluter Klarheit, welcher Titel dem Bild angemessen war, das er in den letzten Monaten gemalt hatte, nachdem er ein halbes Jahr weder einen Pinsel angefaßt noch eine einzige Skizze in seine Hefte gezeichnet hatte. Diese Gewißheit erfüllte ihn mit einer beruhigenden Sicherheit und verdrängte die Scham, die er empfand, weil auch er bei seinem Selbstmord gescheitert war, wie Charles Laval damals in der Karibik, im April oder Mai 1887, als er sich mit der Seuche angesteckt hatte. Mit dem ersten Morgenlicht gewann er seinen klaren Verstand zurück und die Kraft, sich aufzurichten und aufzustehen. Seine Beine zitterten, aber sie brannten nicht, und der Knöchel tat ihm jetzt überhaupt nicht weh. Bevor er den Rückweg antrat, war er eine gute Weile damit beschäftigt, die roten Ameisen abzustreifen, die über seinen Körper liefen. Wie enttäuscht sie sein mußten, weil du nicht gestorben warst, Koke, was für einen Festschmaus hätten sie mit deinem Kadaver veranstaltet, der verfault war und doch so zäh und dumm darauf bestand, zu leben.
    Obwohl ihn starker Durst quälte – seine Zunge war versteinert wie die einer Eidechse –, während er ins Tal hinunterstieg, fühlte er sich nicht schlecht, weder körperlich noch seelisch, sondern eher in einem Zustand von Erregung. Du wolltest so rasch wie möglich dein Haus erreichen, in den Fluß von Punaauia eintauchen, in dem du jeden Morgen badetest, bevor du mit der Arbeit begannst, einen Liter Wasser trinken und einen schön heißen Tee mit einem Schuß Rum (war noch Rum da?), und dann die Pfeife anzünden (war noch Tabak da?), in dein Atelier gehen und ohne Zeit zu verlieren den Titel malen, den dudank deines gescheiterten Selbstmords gefunden hattest, in schwarzen Buchstaben, in die linke obere Ecke dieser vier Meter breiten Sackleinwand, die dich in den letzten Wochen wie ein Magnet an sich gefesselt hatte. Ein Meisterwerk? Ja, Koke. In dieser oberen Ecke würden die schrecklichen Fragen das Bild überschreiben. Du hattest nicht die geringste Ahnung, wie die Antworten lauteten. Wohl aber die Gewißheit, daß sie für den, der sie zu suchen wußte, in den zwölf Gestalten des Bildes enthalten waren, die in einem Bogen entgegen dem Uhrzeigersinn den menschlichen Lebensweg von seinem Anfang in der Kindheit bis zu seinem Ende im unwürdigen Alter veranschaulichten.
    Kurz bevor er das Tal erreichte, traf er auf einen kleinen Wasserfall, der sich vom Berghang in eine schlammige Rinne ergoß. Er trank glücklich. Dann befeuchtete er sich das Gesicht, den Kopf, die Arme, die Brust und setzte sich zum Ausruhen an den Wegrand, mit baumelnden Beinen, eingetaucht in eine angenehme Benommenheit. Den Rest des Weges legte er trunken vor Erschöpfung zurück, wenn auch guter Dinge.
    Er betrat sein Haus kurz vor Mittag, als kehrte er von einer Weltreise zurück. Der kleine Emile schlief nackt, rücklings, in seinem Korb, und Pau’ura saß auf den Strohmatten, die Katze um die Beine gerollt, und versuchte, der Gitarre eine Melodie zu entlocken. Sie schaute ihn an und lächelte, ohne von den Saiten des Instruments zu lassen, das sie sich niemals gefügig machen würde. Sie verfehlte den Ton bei jeder Note.
    »Ich habe versucht, mich umzubringen, und bin gescheitert, ich habe so viel Gift geschluckt, daß ich mich erbrechen mußte, und das hat mich gerettet, aber ich habe kein Arsen mehr für meine Beine«, sagte er langsam auf französisch, das Pau’ura sehr gut verstand, wenn sie es auch nur mit Mühe sprach. »Ich bin nicht nur ein gescheiterter Künstler und ein Hungerleider. Sondern auch ein gescheiterter Selbstmörder. Komm, mach mir eine Tasse Tee.«
    Der abwesende Ausdruck seiner Frau veränderte sichnicht. Mechanisch deutete sie ein weiteres Lächeln an, während ihre Hände noch immer versuchten, der malträtierten Gitarre ein paar Akkorde zu entlocken.
    »Koke«, sagte sie, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Eine Tasse Tee.«
    »Eine Tasse Tee!« wiederholte er, während er sich auf das Bett

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