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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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(was mochte aus ihm geworden sein?) dir erzählte, daß die Eingeborenen dich wegen deiner langen flatternden Haarmähne und deines Buffalo-Bill-Hutes für einen taata vahine , einen mahu , hielten, hatte es dich geschaudert. Ein Frau-Mann, du? Hattest du etwa deine Männlichkeit nicht unter Beweis gestellt, seit du denken konntest? In deinem Unbehagen hattest du dir die lange Mähne abgeschnitten und den Mohikanerhut durch einen Strohhut ersetzt. Später jedoch, als dir klar wurde, daß die Tahitianer im Unterschied zu den Europäern einen taata vahine genauso akzeptierten wie einen Mann oder eine Frau, ändertest du deine Meinung. Jetzt machte es dich stolz, daß man dich für einen mahu gehalten hatte. ›Das einzige, was die Missionare ihnen nicht haben nehmen können‹, dachte er. Gab es denn nicht taata vahine in den Dörfern, im Schoß vieler Familien, trotz der vehementen Predigt von Priestern und Pastoren, die alles daransetzten, eine strikte sexuelle Symmetrie zu etablieren, hier Männer, da Frauen, und jede Form von Ambivalenz zwischen den Geschlechtern zu beseitigen? Das hatten sie den Eingeborenen nicht austreiben können: ihre sexuelle Weisheit. Er erinnerte sich amüsiert an sein Abenteuer mit dem Holzfäller Jotefa, am Wasserfall: Es war gar nicht so lange her, und doch schien es eine Ewigkeit zu sein, Koke. Ja, es gab noch viele taata vahine auf Tahiti. Nicht in Papeete, wohlaber im Inneren der Insel, das der Einfluß der Europäer spät, unvollkommen oder nie erreichte. Er hatte oft gesehen, wie diese Jungen, die ihre Köpfe mit dem Blumenschmuck der Frauen schmückten, die kochten und webten und die Hausarbeit verrichteten, bei Festen, wenn alle betrunken waren, von Männern liebkost und bisweilen mit der größten Natürlichkeit wie Frauen gebraucht wurden. Und er hatte unter den gleichen Umständen auch Mädchen und Frauen gesehen, die sich umarmten und streichelten, ohne daß jemand darüber befremdet gewesen wäre. Die letzten Reste der verschwundenen Zivilisation, die du gesucht und nicht gefunden hattest, Koke, die letzte Spur dieser ursprünglichen, gesunden, heidnischen, glücklichen Kultur ohne körperliche Scham, die nicht durch den dekadenten Begriff der Sünde deformiert war. Das einzige, was blieb von dem, was dich in die Südsee geführt hatte, Koke, diese weise Hinnahme der Notwendigkeit der unverstellten Liebe, der Liebe in all ihren Metamorphosen, bis hin zum Hermaphroditismus. Es würde nicht mehr lange dauern. Europa würde auch den taata vahine ein Ende machen, wie es den alten Göttern, den alten religiösen Vorstellungen, den alten Sitten, der alten Nacktheit, den Tätowierungen und dem Kannibalismus ein Ende gemacht hatte, dieser ganzen heilen, fröhlichen, kraftvollen Zivilisation, die es einmal gegeben hatte. Doch sie existierte noch auf den Marquesas. Dorthin mußtest du gehen, bevor du krepieren würdest.
    Unbewußt und unbeabsichtigt hattest du einen taata vahine in die Mitte deines besten Bildes gemalt. Eine Huldigung an das Ausgelöschte, an das, was man den Tahitianern geraubt hatte. In all den Jahren, in denen du hier lebtest, hattest du nicht einen einzigen Menschen getroffen, der sich erinnert hätte, wie die Sitten, die Beziehungen, das tägliche Leben früher gewesen waren. Man hatte ihnen nicht einmal die prachtvolle Nacktheit gelassen, in der sie auf deinem Bild erschienen. Die Missionare hatten ihre kupferfarbenen Körper in diese Tuniken gesteckt, die wiereligiöse Gewänder wirkten. Was für ein Verbrechen! Diese schönen ockerfarbenen, blaß- oder bläulichgrauen Gestalten zu verbergen, die sich jahrhundertelang voll Stolz, in animalischer Unschuld, der Sonne dargeboten hatten. Die Tuniken, die man sie zu tragen zwang, machten ihre Anmut, ihre Gelöstheit, ihre Kraft zunichte und versahen sie mit dem schmachvollen Siegel der Knechte. Koke, Koke: Diese verschwundene Kultur hattest du von A bis Z erschaffen müssen, damit sie existierte. Waren die Maori einmal so gewesen, wie sie auf dem Bild erschienen? Natürliche Wesen, Freunde ihrer Körper, Brüder der Bäume, die ihnen ihre Früchte schenkten, des Meeres und der Lagune, in denen sie fischten und badeten und mit flinken Kanus ihre Spuren zogen, vor Mißgeschicken geschützt durch ihre beunruhigende Göttin Hina, die du ebenfalls für sie erfinden mußtest, da sich kein Tahitianer erinnern konnte, wie sie war, als seine Vorfahren sie anbeteten. Die Missionare hatten ihnen die Erinnerung geraubt und sie

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