Das Paradies ist anderswo
warf und ihr kleine Klapse versetzte. »Jetzt sofort.«
Sie schob die Katze beiseite, legte die Gitarre auf den Boden und ging, sich sanft wiegend, zur Tür. Sie wirkte älter als ihre sechzehn oder siebzehn Jahre. Ihre Rundungen waren ausgeprägt, sie war nicht sehr groß, hatte langes blauschwarzes Haar und seidige Haut, die im Widerspiel zu ihrem roten Pareo zu phosphoreszieren schien. Ein hübsches Mädchen, vielleicht die schönste vahine , mit der du zusammengelebt hattest, seitdem du in Tahiti angekommen warst. Sie hatte schon zweimal geboren, und ihr Körper war nicht im mindesten aus der Form gegangen; ihre Figur war weiter schlank und jugendlich. Du warst schon Jahre mit ihr zusammen, doch nie hattest du sie so geliebt wie Teha’amana, die du bisweilen noch immer mit unveränderter Sehnsucht vermißtest. Und warum hattest du sie nicht lieben können, Koke, wo sie doch nicht nur schön, sondern auch fügsam und gefällig war? Weil sie zu dumm war. In der letzten Zeit hatte er die Dialoge mit seiner kleinen tahitianischen Frau auf ein Minimum reduziert. Wenn sie stumm war, gelang es ihm, für Pau’ura eine gewisse Zuneigung zu empfinden; sie war ihm Gesellschaft, Hilfe, und wenn ihn das Begehren anfiel, was ihm jetzt weniger oft als früher passierte, ein junger, fester und sinnlicher Körper. Doch wenn sie ihren Mund aufmachte und in ihrem armen Französisch oder in einem Tahitianisch sprach, das ihm nicht immer verständlich war, deprimierten ihn die Banalität ihrer Fragen und ihr Unvermögen, die Erklärungen zu verstehen, die er ihr zu geben suchte. Aber vor allem erzürnte ihn ihre grenzenlose, träge Unfähigkeit, Interesse für irgend etwas Geistiges, Künstlerisches oderschlicht Intelligentes zu entwickeln. Hatte sie verstanden, daß du dich umbringen wolltest? Sie hatte es genau verstanden. Aber was sollte sie dazu sagen, wo doch alles, was ihr Ehemann tat, gut war. Hatte sie denn Stimme und Einfluß bei den Angelegenheiten ihres Herrn und Meisters? Sie war keine Frau, Koke. Sie war ein jugendlicher kleiner Körper, ein Geschlecht und ein Paar Brüste, weiter nichts.
Er schlief ein. Aber nicht lange, denn als er die Augen öffnete, war die Tasse Tee, die Pau’ura ihm neben das Bett gestellt hatte, noch immer heiß. Er suchte die letzte Flasche Rum im Vorratsschrank. Sie war fast leer, doch die wenigen Tropfen, die er in den Tee goß, gaben dem Getränk Feuer. Er schlürfte es in kleinen Schlucken, während er mit einer gewissen Angst in sein Atelier ging. Er warf einen langen Blick auf die riesige Leinwand; sie war auf eine Staffelei gespannt, die er, wie das Gerüst eines Gebäudes, eigens für sie konstruiert hatte. Die zwischen den Bambusrohren eindringenden Pfeile der Sonne machten das Bild lebendig und gaben ihm etwas seltsam Flirrendes. Eine Schmetterlingsunruhe, wie im Wald von Punaruu zur Zeit der größten Hitze. Ja, Koke, der Titel war angemessen. Er nahm seine Farbpalette und schrieb mit einem der feinsten Pinsel in die linke obere Ecke: »Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?«
War es das Bild, das du hattest malen wollen? Jetzt, wo der Tod hinter dir lag – ein schöner Ausdruck, Koke – und du es mit dem Blick und der Gelassenheit sahst, die dir die Rückkehr aus dem Jenseits gab, warst du nicht mehr so sicher. War es das Paradies, neuerfunden von einem wilden Maler, der sich auf der Insel Tahiti niedergelassen hatte? Das war deine vage ursprüngliche Absicht gewesen. Oder besser gesagt, du hattest aus der Hölle deiner nicht abreißenden Mißgeschicke heraus einen nicht abstrakten, nicht europäischen, nicht mystischen Garten Eden, sondern ein Maori-Eden malen wollen. Ein materielles Eden, das hier und jetzt Gestalt annahm. Aber das war es nicht, was du vor dir hattest. Wer war diese große zentrale Gestalt mitweißem Lendenschurz, die eine Frucht von dem unsichtbaren Baum über ihrem Kopf pflückte und die Leinwand in zwei Hälften teilte? Nicht Eva, das war gewiß. Er war nicht einmal sicher, daß es eine Frau war, denn obwohl ihre Haut, ihre Taille und ihre Arme als weiblich gelten konnten, gehörten die Formen, die sich unter dem Lendenschurz wölbten, nicht zu einer Frau: es war ein gutes Paar Hoden und ein kräftiger Phallus, der vielleicht gerade im Begriff war, sich aufzurichten.
Er brach in Lachen aus. Ein taata vahine ! Ein mahu ! Das hattest du gemalt, Koke: einen Frau-Mann. Als du vor sieben Jahren, im Juni 1891, in Tahiti eintrafst und Leutnant Jénot
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