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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Ihrer Eltern legal wäre, würden wir es verlieren. Niemand hat je einen Prozeß gegen Don Pío gewonnen. Wissen Sie denn nicht, daß halb Arequipa von ihm lebt und die andere Hälfte ebenfalls danach drängt, an diesem Euter zu hängen? Obwohl wir in der Theorie jetzt eine Republik sind, erfreut sich die Kolonie in Peru bester Gesundheit.«
    Sie gestand sich widerwillig ihre Niederlage ein und mußte auf ihre Träume verzichten, ein Leben als wohlhabende Bürgersfrau zu führen. Besser so, nicht wahr, Florita? Ja, besser so. Deshalb, obwohl Arequipa so viele deiner Illusionen zerstört hatte, brachtest du der Stadt der Vulkane eine unzerstörbare Zuneigung entgegen. Sie hatte dir die Augen geöffnet über die menschliche Ungerechtigkeit, den Rassismus, die Blindheit und den Egoismus der Reichen, das Inhumane des religiösen Fanatismus, dieser Quelle jeder Unterdrückung. Die Geschichte der Nonne Dominga Gutiérrez – natürlich eine Kusine von dir, in dieser Stadt zahlloser verschleierter Inzeste – beunruhigte, erstaunte, empörte dich und veranlaßte dich, die halbe Welt auszufragen, um dir eine Vorstellung davon zu machen, was ihr widerfahren war. Wenn man ihre Geschichte verstehen wollte, mußte man die geschlossenen Klöster kennen, eine weitere Eigenheit Arequipas, das sich nicht nur des weißen Vulkangesteins seiner Kirchen und Wohnhäuser, nicht nur seiner Erdbeben und Revolutionen rühmte, sondern sich auch etwas darauf zugute hielt, die katholischste aller Städte Perus, Amerikas und womöglich der ganzen Welt zu sein. Und du faßtest den Beschluß, sie kennenzulernen.
    Mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit, die am Ende Berge zu versetzen vermochte, bat und flehte die kleine Französin,konspirierte mit Freunden und Verwandten, bis sie die erforderlichen Genehmigungen von Bischof Goyeneche erhielt, die drei größten geschlossenen Nonnenklöster Arequipas zu besuchen: Santa Rosa, Santa Teresa und Santa Catalina. Das Kloster Santa Catalina, in dem Flora fünf Nächte verbrachte, glich einer kleinen spanischen Stadt hinter seinen zinnenbewehrten Mauern im Herzen von Arequipa: prachtvolle Gassen mit Namen von Städten aus Andalusien und Estremadura, kleine beschauliche Plätze, geschmückt mit Nelken, Rosensträuchern und Springbrunnen, und eine weibliche Menschenmenge, die sich zwischen Refektorien, Gebetshäusern, Aufenthaltsräumen, Kapellen und Wohnzellen mit Gärten, Terrassen und Küchen bewegte, wo jede Nonne das Recht hatte, sich mit vier Sklavinnen und vier Dienerinnen hinter den Klostermauern einzuschließen.
    Flora traute ihren Augen nicht, als sie diese Pracht erblickte. Nie hätte sie gedacht, daß ein geschlossenes Kloster einen solchen Luxus bergen konnte. Außer dem überall sichtbaren Reichtum an Kunst, an Bildern, Skulpturen, Wandteppichen und Kultgegenständen aus Silber, Gold, Alabaster und Marmor gab es in den Zellen Teppiche und Kissen, Laken aus feinem Leinen und handbestickte Bettdecken. Die Erfrischungen und Mahlzeiten wurden in Geschirr und mit Silberbesteck serviert, die aus Frankreich, Flandern, Italien und Deutschland importiert waren. Die Nonnen von Santa Catalina bereiteten ihr einen lärmenden Empfang. Sie waren ungezwungen, heiter, reizend und hätten nicht weiblicher sein können. Um zu wissen, »wie sich die Französinnen kleiden«, begnügten sie sich nicht damit, daß Flora sich die Bluse auszog und ihnen das Korsett und das Leibchen zeigte; auch die Röcke und die Leibbinde mußten herunter, denn sie brannten vor Neugier darauf, die Unterkleider der weiblichen französischen Mode zu berühren. Rot wie eine Tomate, stumm vor Scham, mußte sich Flora in Unterwäsche und Strümpfen eine ganze Weile der schnatternden Begutachtung durch die Nonnen aussetzen,bis die ebenfalls kichernde Priorin sie schließlich befreite.
    Sie verbrachte einige lehrreiche und wirklich amüsante Tage in diesem aristokratischen Kloster, zu dem nur adlige Novizinnen Zugang hatten, die in der Lage waren, die vom Orden geforderte hohe Mitgift zu bezahlen. Trotz ihres ständigen Eingesperrtseins und langer Stunden der Meditation und des Gebetes langweilten sich die Nonnen nicht. Die Strenge der Klausur wurde abgemildert durch den Komfort und das soziale Leben, das sie beschäftigte: Sie verbrachten einen gut Teil des Tages damit, sich gegenseitig zu bewirten, wie Mädchen zu spielen oder sich in den kleinen Häusern zu besuchen, die von den Sklavinnen – Zambas, Mulattinnen und Negerinnen – und von

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