Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Er wirkte vernichtet und winzigklein in diesem großen Raum, an dessen Wänden die Porträtsseiner Vorfahren hingen, allesamt hohe Beamte und Günstlinge der Kolonialverwaltung: Auditoren, Feldmeister, Bischöfe, Vizekönige, Bürgermeister, Generäle. Später gestand er Flora, er habe in seinem vierundsechzigjährigen Leben zum ersten Mal erleben müssen, daß eine Frau sich innerhalb oder außerhalb der Familie in dieser Weise unbotmäßig verhalten und einem pater familias den Respekt versagt habe. Waren das jetzt die französischen Sitten?
    Flora lachte auf. ›Nein, Onkel‹, dachte sie. ›Was die Frauen betrifft, sind die französischen Sitten noch weiter zurück als in Arequipa.‹ Als ihre Freunde unter den Saintsimonisten in Toulon vom Besuch des Kommissars und von der Vorladung des Prokurators erfuhren, waren sie beunruhigt. Man würde sicher ihr Hotelzimmer durchsuchen. Daraufhin versteckte Hauptmann Joseph Corrèze bei sich zu Hause sämtliche Papiere Floras über die Organisation der Arbeiterunion in den Provinzen Frankreichs. Doch aus irgendeinem geheimnisvollen Grund kam es während Floras Aufenthalt weder zur Durchsuchung noch zu einer erneuten Vorladung des Prokurators.
    Um sie für die heftigen Aufregungen zu entschädigen, führten die Saintsimonisten sie zum Hafen, wo die »Seeturniere« stattfanden, ein Spektakel, zu dem jährlich viele Besucher aus allen Regionen, sogar aus Italien, nach Toulon strömten. Am Bug zweier Boote, die ihnen gleichsam als Seerösser dienten, standen auf einer kleinen Plattform zwei Lanzenkämpfer, mit langen, spitz zulaufenden Stangen bewaffnet und von hölzernen Schilden geschützt, und stürmten heftig aufeinander los, so schnell, wie die zwölf Ruderer die Boote vorwärts bewegten. Durch den starken Aufprall fiel einer oder fielen oft auch beide Lanzenkämpfer ins Wasser, unter dem Gejohle der Menge, die sich auf den Molen und auf der Seepromenade drängte. Die Saintsimonisten waren leicht pikiert, als Flora ihnen nach Beendigung des Spektakels erklärte, am meisten habe ihr zu denken gegeben, daß diese armen Männer, die sich zur Unterhaltung von Pöbel und Bürgern mit Lanzen attackierten,in das Schmutzwasser fielen, in das die Abwasserkanäle der Stadt ihren Unrat ergossen. Sie würden sich bestimmt Infektionen zuziehen.
    Sie hatten dir nie gefallen, diese Massenvergnügungen, bei denen die Menschen im Schutz der Menge zu Tieren wurden, die Kontrolle über ihre Triebe verloren und sich wie Wilde aufführten. Deshalb hatten die Stierkämpfe auf der Plaza de Armas von Arequipa, zu denen Clemente Althaus dich führte, oder die Hahnenkämpfe, wo du von schreienden Zuschauern umgeben warst, die Wetten abschlossen und die blutenden Tiere anfeuerten, dir zutiefst mißfallen. Es war deine angeborene Neugier, alles zu wissen und zu erforschen, die dich dort hingeführt hatte und dich oft zwang, mehr als eine Kröte zu schlucken.
    Oberst Althaus, der sich ebenfalls als Opfer von Don Pío Tristáns Geiz zu erkennen gab, versuchte sie zu trösten. Und sie von ihrem Vorhaben abzubringen, juristische Schritte einzuleiten, um die Anerkennung als eheliche Tochter zu erhalten, denn, so versicherte er ihr, sie würde niemals einen guten Anwalt finden, der die Stirn hätte, sich mit dem mächtigsten Mann von Arequipa anzulegen, oder einen Richter, der wagen würde, Don Pío irgendeines Vergehens anzuklagen. »Das hier ist nicht Frankreich, Florita! Das ist Peru!« Auch der Deutsche machte sich Illusionen über »la douce France«.
    In der Tat, die fünf oder sechs Anwälte, an die du dich um Rat wandtest, waren kategorisch: Du hattest nicht die geringste Chance. Du selbst hattest dir die Schlinge um den Hals gelegt mit deinem naiven Brief an Don Pío, in dem du ihm die Wahrheit über die Ehe deiner Eltern erzählt hattest. Du würdest das Verfahren nie gewinnen, solltest du so verwegen sein, es anzustrengen. Flora konsultierte sogar einen fortschrittlich gesinnten Anwalt, der von der guten Gesellschaft Arequipas wegen seines Rufes als Pfaffenfresser geschnitten wurde, seitdem er vor zwei Jahren gewagt hatte, die Nonne Dominga Gutiérrez zu verteidigen, ein Skandal, der noch immer für hitziges Gerede in der Stadtsorgte. Der junge, ungestüme Mariano Llosa Benavides versetzte dir den Gnadenstoß:
    »Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Doña Flora, aber auf gesetzlichem Wege werden Sie dieses Verfahren nie gewinnen. Selbst wenn Ihre Papiere in Ordnung wären und die Ehe

Weitere Kostenlose Bücher