Das Paradies ist anderswo
den indianischen Dienerinnen makellos sauber gehalten wurden. Sämtliche Nonnen von Santa Catalina, die sie befragte, glaubten fest, daß Dominga vom Teufel besessen war. Und alle sagten, daß in Santa Catalina niemals etwas so Unheimliches hätte geschehen können.
Denn Domingas Geschichte hatte sich in Santa Teresa zugetragen, einem Kloster barfüßiger Karmeliterinnen, das schlichter, härter und strenger war als Santa Catalina und in dem Flora, schaudernd vor Beklommenheit, ebenfalls vier Tage und drei Nächte verbrachte. Santa Teresa besaß drei wunderschöne Kreuzgänge mit sorgsam gehegten Kletterpflanzen, Jasminbüschen, Narden und Rosen und einen Gemüsegarten, den die Nonnen eigenhändig bebauten. Doch hier herrschte nicht das ungezwungene, mondäne, spielerische und frivole Ambiente von Santa Catalina. In Santa Teresa amüsierte sich niemand; man betete, meditierte und arbeitete schweigend, und man litt an Körper und Geist aus Liebe zu Gott. In den winzigen Zellen, in denen die Nonnen ihre Gebete verrichteten – sie schliefen nicht dort –, gab es weder Luxus noch Bequemlichkeit, nur nackte Wände, einen asketischen Strohstuhl, einen Tisch aus groben Brettern und, an einem Nagel hängend, die Geißel, mit der sich die Nonnen kasteiten, um demHerrn das Opfer ihres wunden Fleisches darzubringen. Von ihrer Zelle aus hörte Flora entsetzt das Weinen, das die nächtlichen Peitschenschläge der Geißlerinnen begleitete, und begriff, wie das Leben ihrer Kusine Dominga Gutiérrez in den zehn Jahren ausgesehen haben mußte, die sie seit ihrem vierzehnten Lebensjahr hier verbracht hatte.
In diesem Alter war Dominga auf Drängen ihrer Mutter nach einer enttäuschten Liebe – ihr junger Bräutigam heiratete eine andere – als Novizin in das Kloster Santa Teresa eingetreten. Nach wenigen Wochen, vielleicht nach wenigen Tagen, wurde ihr klar, daß sie sich niemals dieser Ordnung würde fügen können, in der alles Opfer, extreme Strenge, Schweigen und absolute Isolierung war und man kaum schlief, aß und lebte, weil man nichts anderes tat als beten, die Hymnen singen, sich geißeln, beichten und die Erde mit den Händen bearbeiten. Vergeblich bat und flehte sie, wenn sie mit ihrer Mutter durch das Sprechgitter reden durfte, sie möge sie aus dem Kloster holen. Die Argumente ihres Beichtvaters verwirrten Dominga und stärkten die ihrer Mutter: Sie müsse diesen Anfechtungen widerstehen, der Teufel wolle sie dazu bringen, daß sie ihrer wahren religiösen Berufung entsage.
Ein Jahr später, nachdem sie die Gelübde abgelegt hatte, die sie bis zu ihrem Tod an diese Mauern und an diese Routine fesseln würden, hörte Dominga, als zur Stunde der Vesper einige Seiten aus Santa Teresas Buch des Lebens vorgelesen wurden, die Geschichte eines Falls von Besessenheit: die Geschichte einer Nonne aus Salamanca, der der Teufel eine makabre List eingeflüstert hatte, um aus dem Kloster zu fliehen. Dominga, die gerade fünfzehn Jahre alt geworden war, ging ein Licht auf. Ja, das war eine Möglichkeit zur Flucht. Man mußte freilich mit unendlicher Vorsicht und Geduld zu Werke gehen, um Erfolg zu haben. Für die Durchführung ihres Plans brauchte sie acht Jahre. Wenn du daran dachtest, was für deine Kusine Dominga diese acht Jahre gewesen sein mußten, in denen sie Schritt für Schritt, unter endlosen Vorsichtsmaßnahmen,den komplizierten Plan einfädelte und jedesmal zurückschreckte, wenn sie fürchten mußte, entdeckt zu werden, um am nächsten Tag erneut zu beginnen – eine unermüdliche Penelope, die webte, das Gewebte auftrennte und neu webte –, zog sich dein Herz zusammen, erfaßte dich Zerstörungswut, und du bekamst Lust, wie die Revolutionäre von 1789 Klöster anzuzünden und diese fanatischen Unterdrücker des Geistes und des Körpers aufzuhängen oder zu guillotinieren. Danach bereutest du dann die apokalyptischen Gelüste, die deiner Empörung entsprangen.
Am 6. März 1831 konnte Dominga Gutiérrez, nunmehr dreiundzwanzig Jahre alt, ihren Plan durchführen. Am Vorabend hatten zwei ihrer Dienerinnen sich dank der Komplizenschaft eines Arztes des Hospitals San Juan de Dios den Leichnam einer Indiofrau verschafft. Im Schutz der Dunkelheit brachten sie ihn in einem großen Mehlsack in ein Zimmer, das sie zu diesem Zweck gegenüber dem Kloster gemietet hatten. Beim letzten mitternächtlichen Glockenschlag schleppten sie ihn in das Innere des Klosters, durch die Hauptpforte, die von der ebenfalls in den Plan
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