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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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was für ein Wahnsinn. Niemals, niemals! Wieder das gleiche? In den Nächten fühlen, wie ein behaarter, schwitzender Körper dich bestieg und wie eine Stute ritt? Der Alptraum kam dir wieder in Erinnerung und erfüllte dich mit Entsetzen. Nicht um alles Gold der Welt, Florita! Am nächsten Tag teiltest du deinem Onkel mit, daß du nach Frankreich zurückkehren wolltest. Und am 25. April, zur Überraschung Escuderos, verabschiedetest du dich von Arequipa. Du nutztest die Karawane eines englischen Kaufmanns und begabst dich nach Islay und von dort aus nach Lima, wo du zwei Monate später das Schiff zurück nach Europa nehmen solltest.
    Diese Flut von Bildern aus Arequipa lenkte sie von dem unangenehmen Erlebnis mit dem Bäcker-Dichter Jean Reboul ab. Sie kehrte langsam ins Hôtel du Gard zurück, durch Straßen, in denen sich Menschen drängten, die eine ihr unverständliche regionale Sprache sprachen. Es war, als befände sie sich in einem fremden Land. Diese Reise hatte sie gelehrt, daß Französisch, anders als man in Paris glaubte, weit davon entfernt war, die Sprache aller Franzosen zu sein. An vielen Ecken sah sie Gaukler, Zauberer, Possenreißer, Wahrsager, deren Zahl in dieser Stadt fast ebenso groß war wie die der Bettler, die ihre Hand ausstreckten und sich für eine Münze erboten, »ein Avemaria für die gute Dame zu beten«. Das Bettlertum war ihr wie vieles andere ein Dorn im Auge; bei allen Versammlungen versuchte sie, den Arbeitern klarzumachen, daß Betteln, wiewohlvon den Geistlichen gutgeheißen, ebenso abstoßend sei wie die milde Gabe; beides würdige den Bettler moralisch herab, während es dem Bürger ein gutes Gewissen verschaffe und ihm erlaube, die Armen weiter ohne Reue auszubeuten. Man müsse die Armut bekämpfen, indem man die Gesellschaft veränderte, nicht durch Almosen. Ihre gelassene, gute Stimmung dauerte jedoch nicht lange, denn auf dem Weg zum Hotel mußte sie ein öffentliches Waschhaus passieren. Ein Ort, der sie seit ihrem ersten Tag in Nîmes mit Empörung erfüllte. Wie war es möglich, daß man 1844, in einem Land, das sich rühmte, das zivilisierteste der Welt zu sein, ein so grausames, so unmenschliches Schauspiel geboten bekam und daß in dieser Stadt der Sakristeien und der Frömmler niemand etwas tat, um ein solches Unrecht aus der Welt zu schaffen?
    Die Anlage war hundert Fuß lang und sechzig breit und wurde von einer Quelle versorgt, die den Felsen herabströmte. Es war das einzige Waschhaus der Stadt. In ihm wuschen und spülten die Wäsche der Einwohner von Nîmes dreihundert bis vierhundert Frauen, die aufgrund der absurden Konstruktion des Waschhauses bis zur Taille im Wasser stehen mußten, um die Wäsche auf den Waschsteinen einseifen und waschen zu können, den einzigen der Welt, die, statt zum Wasser hin geneigt zu sein, damit die Frauen am Rand knien konnten, umgekehrt angebracht waren, so daß die Wäscherinnen sie nur benutzen konnten, wenn sie im Wasser standen. Was für ein idiotischer oder perverser Geist hatte die Waschsteine so konstruiert, daß die unglücklichen Frauen anschwollen und ungestalt wurden wie Frösche und Ausschläge und Flecken auf der Haut bekamen? Schlimm war nicht nur, daß sie so viele Stunden im Wasser standen, sondern daß dieses Wasser, das auch die Färber der örtlichen Industrie benutzten, Seife, Kalium, Natrium, Chlorlauge, Fett und Farben wie Indigo, Safran und Krapp enthielt. Flora sprach mehrmals mit diesen armen Frauen, die zehn oder zwölf Stunden in diesem Wasser verbrachten und deshalb unter Rheuma und Entzündungender Gebärmutter litten und über Fehlgeburten und schwierige Schwangerschaften klagten. Das Waschhaus war nie leer. Viele Wäscherinnen zogen es vor, nachts zu arbeiten; dann konnten sie die besten Plätze auswählen, da es zu dieser Zeit nur wenige Färber gab. Trotz ihrer dramatischen Situation und obwohl Flora ihnen erklärte, sie versuche durch ihre Tätigkeit ihr Schicksal zu verbessern, gelang es ihr nicht, auch nur eine einzige Wäscherin dazu zu bringen, an den Versammlungen über die Arbeiterunion teilzunehmen. Stets spürte sie ihren Argwohn, noch über ihre Resignation hinaus. Bei einem ihrer Treffen mit den Ärzten Pleindoux und de Castelnaud brachte sie das Waschhaus zur Sprache. Sie wunderten sich, daß Flora diese Arbeitsbedingungen unmenschlich fand. Arbeiteten denn die Wäscherinnen in der übrigen Welt nicht genauso? Sie sahen keinen Grund zur Empörung darin. Flora beschloß, ihre Wäsche

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