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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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schön und geheimnisvoll waren, sondern sie waren auch unsichtbar. Niemand konnte sie erkennen – angefangen bei ihren Ehemännern, wie Flora sie prahlen hörte –, und dies verlieh ihnen eine ungewöhnliche Kühnheit. Sie gingen allein auf die Straße, wenn auch in einer gewissen Entfernung von einer Sklavin gefolgt, und hatten ihren Spaß daran, Bekannte, denen sie unterwegs begegneten und die sie nicht erkennen konnten, zu überraschen oder allerlei Scherze mit ihnen zu treiben. Alle rauchten, setzten hohe Summen beim Spiel und begegneten den Herren der Gesellschaft mit unermüdlicher, oft übertriebener Koketterie. Madame Denuelle informierte sie stets über die heimlichen Affären, die Liebesintrigen, in die Ehemänner und Ehefrauen verwickeltwaren und die zuweilen, wenn es zum Skandal kam, in Duellen mit Säbeln oder Pistolen am Ufer des spärlich fließenden Rímac endeten. Die Frauen Limas gingen nicht nur allein aus, sondern sie ritten auch in Männerkleidung, spielten Gitarre und sangen und tanzten völlig ungeniert, selbst die Alten. Flora sah sich in der Klemme, wenn diese emanzipierten Frauen sie bei Treffen und festlichen Anlässen mit genießerisch geöffneten Lippen und begierig geweiteten Augen baten, ihnen zu erzählen, was »die Pariserinnen für ungeheuerliche Dinge trieben«. Die Frauen Limas besaßen eine krankhafte Vorliebe für Satinschuhe in kühnen Formen und allen Farben, eines der entscheidenden Werkzeuge ihrer Verführungskunst. Sie schenkten dir ein Paar, und du, Florita, solltest es Jahre später Olympe als Liebespfand schenken.
    Vier Wochen nachdem Flora in Lima angekommen war, erschien Oberst Bernardo Escudero in der Pension Denuelle. Er befand sich auf der Durchreise in der Hauptstadt, als Begleiter der Marschallin, die in Arequipa gefangengenommen worden war und in Callao auf das Schiff wartete, das sie ins Exil nach Chile bringen sollte, wohin sie der spanische Militär natürlich ebenfalls geleiten würde. Ihr Ehemann, General Gamarra, war nach Bolivien geflohen, nachdem seine Rebellion gegen Orbegoso – wo anders als in Arequipa? – ein schauerliches Ende gefunden hatte. Die Marschallin und Gamarra hatten wenige Tage nach Floras Abreise Einzug in die von General San Román so possenhaft für sie eroberte Stadt gehalten. Die Gamarra-Truppen trieben die von den Einwohnern geforderten Abgaben in die Höhe, was die Gemüter der Bevölkerung Arequipas erhitzte. Daraufhin beschlossen zwei Bataillone Gamarras, angeführt von Feldwebel Lobatón, sich gegen Gamarra zu erheben und sich Orbegoso anzuschließen. Sie bemächtigten sich der Kommandoposten und brachten Siegesrufe auf ihren ehemaligen Feind, den verfassungsmäßigen Präsidenten, aus. Als die Einwohner Arequipas die Schüsse hörten, mißverstanden sie das Geschehen undstürzten sich, der Besetzung überdrüssig, mit Steinen, Messern und Jagdflinten bewaffnet, auf die Aufständischen, im Glauben, sie seien nach wie vor Gamarra-Anhänger. Als sie ihren Irrtum bemerkten, war es zu spät, denn sie hatten den Feldwebel Lobatón und seine wichtigsten Gefolgsleute gelyncht. Daraufhin griffen sie mit gesteigerter Wut das verunsicherte Heer Gamarras und San Románs an, das sich angesichts des Ansturms der Bevölkerung auflöste. Die Soldaten wechselten das Lager oder traten die Flucht an. General Gamarra gelang es zu entkommen, als Frau verkleidet, und mitsamt einem kleinen Gefolge Asyl in Bolivien zu finden. Die Marschallin, nach der die aufgebrachte Menge suchte, um sie zu lynchen, sprang vom Dach des Hauses, in dem sie logierte, und gelangte in ein Nachbarhaus, in dem sie Stunden später von den regulären Truppen Orbegosos gefangengenommen wurde. Don Pío, stets geschickt und flink, wenn es galt, sich neuen politischen Verhältnissen anzupassen, führte jetzt den Vorsitz des provisorischen Regierungskomitees von Arequipa, das sich für Orbegoso erklärt und die Stadt dem Befehl des verfassungsmäßigen Präsidenten unterstellt hatte. Dieses Komitee hatte das Exil der Marschallin beschlossen, was von der Regierung in Lima bestätigt worden war.
    Florita bat Bernardo Escudero, er möge sie mit ihr bekannt machen. Sie traf mit Doña Pancha auf dem englischen Schiff William Rusthon zusammen, das ihr Gefängnis war. Obwohl die Marschallin geschlagen und gesundheitlich ruiniert war (sie sollte einige Monate später sterben), brauchte Flora diese mittelgroße, robuste Frau mit der wilden Haarmähne und den ruhelosen Augen nur anzusehen

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