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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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während ihres Aufenthalts in dieser Stadt niemals zum Waschen fortzugeben. Sie selbst würde sie waschen, im Hotel.
    Das Hôtel du Gard war nicht die Pension von Madame Denuelle, nicht wahr, Andalusierin? Diese, eine ehemalige Opernsängerin aus Paris, war in Lima gelandet und dort Hotelbesitzerin geworden; bei ihr verbrachte Flora ihre letzten beiden Monate auf peruanischem Boden. Kapitän Chabrié hatte sie ihr empfohlen, und Madame Denuelle, der er von Flora erzählt hatte, empfing sie in der Tat mit großer Zuvorkommenheit, gab ihr ein sehr wohnliches Zimmer und eine ausgezeichnete Verpflegung zu einem erschwinglichen Preis (Don Pío hatte ihr zum Abschied vierhundert Pesos für ihre Unkosten geschenkt, zusätzlich zu der von ihm bezahlten Schiffspassage). In diesen acht Wochen stellte Madame Denuelle ihr etliche Angehörige der besten Gesellschaft vor, die in die Pension kamen, um dort Karten zu spielen, zu plaudern und sich dem zu widmen, was Flora als Hauptbeschäftigung der wohlhabenden Familien Limas ausmachte: der Muße, dem gesellschaftlichen Leben, den Bällen, den Mittag- und Abendessen, der mondänenKlatscherei. Merkwürdige Stadt, diese Hauptstadt von Peru, die nicht kosmopolitischer sein konnte, obwohl sie kaum mehr als achtzigtausend Einwohner zählte. Auf ihren engen, von Wassergräben durchzogenen Straßen – in sie warfen die Bewohner ihre Abfälle und leerten ihre Nachttöpfe – spazierten Seeleute der in Callao ankernden Schiffe aus aller Welt, Engländer, Nordamerikaner, Holländer, Franzosen, Deutsche, Asiaten, so daß Flora jedesmal wenn sie ausging, um die zahllosen Klöster und Kirchen der Kolonialzeit zu besuchen oder einen Spaziergang auf der Plaza Mayor zu machen, eine heilige Gewohnheit der eleganten Gesellschaft, um sich herum mehr Sprachen hörte als auf den Pariser Boulevards. Diese kleine, provinziell wirkende, von Obstgärten mit Orangenbäumen, Bananenpflanzungen und Palmen umgebene Stadt mit ihrem Wald von Kirchtürmen, die in einen stets grauen Himmel ragten, mit ihren geräumigen, einstöckigen Häusern, die breite, luftige Galerien hatten – hier regnete es nie – und zwei Innenhöfe, der erste für die Herrschaften, der zweite für die Sklaven, besaß eine Gesellschaft, wie Flora sie sich nicht mondäner, morbider und sinnlicher hätte vorstellen können.
    Die Freunde Madame Denuelles und ihre eigenen Verwandten (sie hatte Briefe für sie aus Arequipa mitgebracht) sorgten dafür, daß Flora in diesen zwei Monaten mit Einladungen überhäuft wurde, die sie zu üppigen Abendessen in prächtige Häuser führten. Und ins Theater, zum Stierkampf (bei der abscheulichen Corrida schlitzte einer der Stiere ein Pferd auf und verletzte einen Torero), zu den Hahnenkämpfen, zum obligaten Paseo de Aguas, wohin sich die Familien zu Fuß oder in der Kutsche begaben, um sich zu zeigen, einander zu grüßen, sich zu verlieben oder ihren Intrigen hinzugeben, zur Anhöhe von Amancaes, zu Prozessionen und Messen (die Damen hörten jeden Sonntag zwei oder drei) und zu den Meerbädern in Chorillos; und sie besuchte die Verliese der Inquisition mit den schauerlichen Folterinstrumenten, mit deren Hilfe denAngeklagten einst die Geständnisse entrissen wurden. Sie lernte alle Welt kennen, vom Präsidenten der Republik, General Orbegoso, bis zu den feschesten Generälen, von denen einige, wie Salaverry, junge, fast noch bartlose Männer waren, sympathisch und galant, aber äußerst ungebildet, sowie eine herausragende geistige Persönlichkeit, den Priester Luna Pizarro, der sie zu einer Sitzung in den Kongreß einlud.
    Was sie am meisten beeindruckte, waren die Frauen der guten Gesellschaft Limas. Gewiß, sie schienen blind und taub zu sein angesichts des Elends, das sie umgab, angesichts der Straßen voller Bettler und reglos dahockender barfüßiger Indios, die auf den Tod zu warten schienen und vor denen sie ihre Eleganz und ihren Reichtum ohne die geringste Verlegenheit zur Schau stellten. Doch was für eine Freiheit genossen sie! In Frankreich wäre das undenkbar gewesen. Nach der für Lima typischen Art, wie man sie raffinierter und sinnlicher nicht hätte erfinden können, mit der sogenannten saya bekleidet, einem engen Rock und einem Umhang, der wie ein loser Mantel Schultern, Arme und Kopf umhüllte und die Formen zart nachzeichnete, drei Viertel des Gesichts bedeckte und nur ein Auge freiließ, gaben die so gekleideten – so verkleideten – Frauen Limas nicht nur vor, daß sie allesamt

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