Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
dieser Stadt der Soutaneträger, die nach Weihrauch stank. Denn am 17. August, dem Tag ihrer Abreise nach Montpellier, als sie die Bilanz ihres Aufenthalts zog, hätte das Ergebnis nicht dürftiger sein können. Nur siebzig verkaufte Exemplare von L’Union Ouvrière ; die anderen hundert, die sie mitgebracht hatte, mußte sie bei Doktor Pleindoux zurücklassen. Und sie hatte kein Komitee gründen können. Bei den vier Versammlungen war keiner der Anwesenden bereit gewesen, für die Arbeiterunion tätig zu werden. Natürlich kam am Morgen ihrer Abreise niemand zum Bahnhof, um sie zu verabschieden.
    Doch einige Tage später, als sie bereits in Montpellier war, erfuhr sie durch ein erschrockenes Schreiben des Direktors des Hôtel du Gard, daß sich letztlich doch jemand in Nîmes für sie interessiert hatte, wenn auch zum Glück erst nach ihrer Abreise. Der örtliche Polizeikommissar war in Begleitung zweier Gendarmen mit einem vom Bürgermeister von Nîmes unterzeichneten Schreiben im Hotel erschienen, in dem ihre sofortige Ausweisung aus der Stadt »wegen Aufhetzung der Arbeiter zu Lohnforderungen« angeordnet wurde.
    Die Nachricht brachte sie zum Lachen und hielt sie den ganzen Tag bei guter Laune. So was, so was. So gescheitert warst du also doch nicht als Revolutionärin, Florita.

XVI

Das Haus der Wonnen
Atuona (Hiva Oa), Juli 1902
    Als die Croix du Sud im Morgengrauen des 16. September 1901 gegenüber Atuona, auf der Insel Hiva Oa, den Anker warf und Paul von der Schiffsbrücke aus das Grüppchen Leute erblickte, das die Passagiere in dem kleinen Hafen erwartete – ein Gendarm in weißer Uniform, Missionare in langen Kutten und mit Strohhüten, ein Schwarm halbnackter Eingeborenenkinder –, erfaßte ihn ein großes Glücksgefühl. Sein Traum, auf die Marquesainseln zu gelangen, wurde endlich Wirklichkeit, und außerdem endete hier die schreckliche, sechs Tage und sechs Nächte dauernde Überfahrt von Tahiti mit dem schmutzigen, stickigen kleinen Schiff, auf dem er kaum ein Auge hatte zumachen können, weil er seine Zeit damit verbringen mußte, Ameisen und Kakerlaken zu töten und die Ratten zu verscheuchen, die sich auf der Suche nach Eßbarem in seiner Kajüte herumtrieben.
    Kaum war er an diesem winzigen Ort vom Schiff gegangen – Atuona war ein Dorf von etwa tausend Einwohnern, umgeben von bewaldeten Hügeln und zwei steilen, grünbelaubten Bergen –, lernte er gleich am Anlegeplatz niemand Geringeren als einen Prinzen kennen. Es war der Annamit Ky Dong; er hatte diesen Decknamen angenommen, als er einst in seinem Land Vietnam beschlossen hatte, auf seine Karriere in der französischen Kolonialverwaltung zu verzichten und sich der politischen Agitation, dem antikolonialistischen Kampf und anscheinend sogar dem Terrorismus zu widmen. So lautete zumindest das Urteil des Gerichts von Saigon, das ihm als Aufrührer den Prozeß machte und ihn zu lebenslanger Haft auf der Teufelsinsel, im fernen Guayana, verurteilte. Bevor er sich selbst auf denNamen Ky Dong getauft hatte, war der Prinz Nguyen Van Cam Student der Literatur und Naturwissenschaften in Saigon und Algerien gewesen. Von dort kehrte er nach Vietnam zurück, wo er eine brillante Karriere in der Verwaltung machte, die er aufgab, um gegen die französische Besatzungsmacht zu kämpfen. Wie war er in Atuona gelandet? Durch den ehemaligen Gouverneur Gustave Gallet, die Zielscheibe von Les Guêpes ; er hatte ihn in Papeete bei einem Zwischenstop des Schiffes kennengelernt, das den Annamiten zur Teufelsinsel brachte, wo er seine Strafe abbüßen sollte. Beeindruckt von der Bildung, der Intelligenz und den feinen Manieren Ky Dongs, rettete der Gouverneur ihm das Leben: er ernannte ihn zum Krankenwärter im Gesundheitsposten von Atuona. Das war jetzt drei Jahre her. Der Annamit ertrug sein Schicksal mit orientalischem Gleichmut. Er wußte, daß er diesen Ort nicht mehr verlassen würde, es sei denn, um in die Hölle von Guayana gebracht zu werden. Er hatte eine Marquesanerin aus Hiva Oa geheiratet, sprach fließend Maori und kam gut mit allen aus. Klein, zurückhaltend, von natürlicher, etwas gewundener Eleganz, erfüllte er seine Aufgaben als Krankenwärter tadellos und versuchte so gut es ging, in diesem Limbus ungebildeter Leute seine intellektuelle Neugier und seine Sensibilität zu bewahren.
    Er wußte, daß der aus Papeete Eingetroffene ein Künstler war, und bot ihm an, ihm bei seiner Niederlassung zu helfen und ihn über den Ort zu informieren, den

Weitere Kostenlose Bücher