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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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eine Religion, die schönste und heiligste: die Liebe zur Menschheit«. Und deine Attacken gegen den Nationalismus: »Unsere Heimat muß das Universum sein.« Gesellschaften zu gründen war die fixe Idee von Saintsimonisten und Fourieristen. Standest du denn mit ihnen schon in Verbindung, als die Broschüre herauskam?
    Nur durch Lektüre. Lesen war deine Hauptbeschäftigung in deiner kleinen Wohnung in der Rue Chabanais und später in der Rue du Cherche-Midi, in den Jahren 1835, 1836, 1837, trotz der Kopfschmerzen, die dir André Chazal bereitete. Du versuchtest, dir die Ideen, Philosophien, Lehren zu eigen zu machen, die für die Modernität standen und in denen du die wirksamste Waffe für die Befreiung der Frau erkanntest. Von Le Globe der Saintsimonisten über sämtliche Broschüren, Bücher, Artikel, Vorträge, die du in die Hand bekommen konntest, bis zu La Phalange der Fourieristen wolltest du alles lesen. Stunden um Stunden warst du bei dir zu Hause oder in den zwei Bibliotheken, in denen du dich eingeschrieben hattest, beschäftigt, Notizen zu machen, Karteikarten anzulegen, Auszüge abzuschreiben. Voll Hoffnung suchtest du Kontakte zu Saintsimonisten und Fourieristen, den beiden Strömungen, die dir in jenen Jahren – die Ideen Etienne Cabets oder des Schotten Robert Owen waren dir noch unbekannt – als die fortschrittlichsten erschienen und damit am besten geeignet, dein Ziel, die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau, zu erreichen.
    Der Philosoph und Ökonom Claude Henri de Rouvroy, Graf von Saint-Simon, Visionär der »reibungslosen Gesellschaft der Produzenten«, war 1825 gestorben, und sein Erbe, der schlanke, elegante, kultivierte und aufgeklärte Prosper Enfantin, war seither das Oberhaupt der Saintsimonisten. Er war einer der ersten gewesen, denen du dein Büchlein geschickt hattest, mit einer unterwürfigen Widmung. Enfantin lud dich zu einer Versammlung von Anhängern in Saint-Germain-des-Prés ein. Erinnerst du dich, mit welchem Entzücken du die Hand dieses weltlichen Priesters drücktest, für den die Pariserinnen schwärmten? Er sah gut aus, war redegewandt und besaß Charisma. Er war im Gefängnis gewesen, im Zuge des ersten Experiments einer saintsimonistischen Gesellschaft in Ménilmontant, wo Enfantin, um die Solidarität zwischen den Mitgliedern zu fördern und den Individualismus abzuschaffen, seine denkwürdige Phantasieuniform entworfen hatte: auf dem Rücken geknöpfte Tuniken, die nur mit Hilfe einer anderen Person geschlossen werden konnten. Prosper war nach Ägypten gereist auf der Suche nach der Messias-Frau, die der Lehre zufolge die Erlöserin der Menschheit sein würde. Er hatte sie nicht gefunden und suchte sie noch immer. Jetzt kam dir dieses feministische Getue der Saintsimonisten wenig seriös vor, ein luxuriöses, frivoles Spiel. Doch 1835 sprach es dir aus der Seele, Florita. Mit welcher Ehrfurcht schautest du auf den leeren Stuhl, der neben dem des Vaters Prosper Enfantin über den Versammlungen der Saintsimonisten thronte. Wie sollte dich nicht die Erkenntnis bewegen, daß du nicht allein warst, daß in Paris andere, wie du, es unerträglich fanden, daß die Frau als minderwertiges, rechtloses Wesen galt, als Bürger zweiter Klasse? Angesichts des leeren Stuhls der Zeremonien der Saint-Simon-Schüler begannst du dir insgeheim zu sagen, als würdest du beten: ›Die Retterin der Menschheit wirst du sein, Flora Tristan.‹
    Doch um die Messias-Frau der Saintsimonisten zu sein, mußte man mit Prosper Enfantin ein Paar bilden, das heißt,schlicht mit ihm ins Bett gehen. Er betörte viele Pariserinnen. Dich nicht. Hier hörte dein reformistischer Eifer auf. Die sexuelle Freiheit, wie sie diese Bewegungen predigten, erschien dir – auch wenn du es nicht sagtest – als Vorwand für die Libertinage, und du warst nicht bereit, ihnen darin zu folgen. Denn die Sexualität sollte dir bis zu deiner Begegnung mit Olympe Maleszewska die gleiche Abscheu einflößen wie die Erinnerung an André Chazal.
    Während der Graf von Saint-Simon seit einiger Zeit tot war, lebte Charles Fourier noch in jenem Jahr 1835. Er war dreiundsechzig Jahre alt, und ihm blieben noch zwei Jahre. Du lerntest ihn kennen, Andalusierin. Und obwohl du jetzt, neun Jahre später, schlecht von seinen Schülern, diesen theoriegläubigen, tatenlosen Phalanstère-Anhängern, dachtest, erinnertest du dich voll Bewunderung an den Meister. Wenn du ihm auch nur wenige Male, mit töchterlicher Zuneigung, begegnet

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