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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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bei sich trug. Doch es waren keine Tage der Erholung. Der aufgeblähte Bauch und das Darmgrimmen quälten sie so stark, daß sie einen Arzt aufsuchen mußte. Doktor Amador, den man ihr im Hotel empfohlen hatte, erwies sich als Spanier, und Flora freute sich, mit ihm die Sprache sprechen zu können, die sie seit ihrer Rückkehr aus Peru vor zehn Jahren kaum zu sprechen Gelegenheit gefunden hatte. Doktor Amador, ein glühender Anhänger der Homöopathie, die er mit verdrehten Augen »die neue Wissenschaft« nannte, war ein Mann in den Fünfzigern, feinsinnig, gebildet, vom Typ her dunkel und hochgewachsen, mit Sympathien für Saint-Simon und überzeugt davon, daß dessen »Theorie der Flüssigkeiten«, ein Schlüssel zum Verständnis der geschichtlichen Entwicklung, auch den menschlichen Körper erkläre. »Technik und Ökonomie sind die verändernden Kräfte der Gesellschaft, Doña Flora«, sagte er mit Baritonstimme zu ihr. Es war angenehm, mit ihm zu plaudern. Getreu seiner homöopathischen Überzeugung, das Übel durch das Übel zu bekämpfen, verabreichte er ihr ein Präparat aus Arsen und Schwefel, das Flora mit Bedenken trank, voll Furcht, sich zu vergiften. Doch schon am zweiten Tag, nachdem sie das seltsame Gebräu geschluckt hatte, erlebte sie eine deutliche Besserung.
    Dieser aufmerksame, respektvolle Mann, der dir mit Ehrfurcht zuhörte, auch wenn ihr in vielen Fragen nicht übereinstimmtet, erinnerte dich an die ersten »modernen Männer«, die du dank deiner Kühnheit und Hartnäckigkeit bei deiner Rückkehr aus Peru Anfang 1835 in Paris kennengelernt hattest, nach dieser unseligen Überfahrt, während deren du beinahe von einem sittenlosen, verkommenen Passagier, dem verrückten Antonio, vergewaltigt worden wärst. Erinnerst du dich, Florita? Nachts versuchte er, die Tür deiner Kabine aufzubrechen, ohne daß der Schiffskapitän ihn zur Räson gerufen hätte; er war es wohlgewohnt, daß seine Passagiere alleinreisende Damen überfielen. Als du ihn zur Rede stelltest, entschuldigte sich Kapitän Alencar mit der aufschlußreichen Platitüde: »Sie sind die erste Dame, die ich in meinen dreißig Jahren als Seebär allein reisen sehe.« Was für eine schreckliche Reise war deine Rückkehr nach Frankreich durch die Schuld der Seekrankheit und des verrückten Antonio!
    Doch was machte dir das alles schon aus in den ersten Monaten in Paris, in deiner neu gemieteten kleinen Wohnung in der Rue Chabanais. Die bescheidene Pension deines Onkels Pío Tristán erlaubte dir ein anständiges Leben. Voll Tatkraft und Hoffnung dank des in Peru verbrachten Jahres, das dich mehr gelehrt hatte, als fünf Jahre an der Sorbonne es vermocht hätten, kehrtest du mit dem festen Entschluß nach Frankreich zurück, eine andere zu sein, die Ketten zu sprengen, dein Leben ganz und frei zu leben, mit dem festen Vorsatz, deine geistigen Lücken zu füllen, deinen Verstand zu bilden und vor allem etwas zu tun, vieles zu tun, damit das Leben der Frauen besser würde, als es für dich gewesen war.
    In dieser Stimmung schriebst du kurz nach deiner Ankunft in Frankreich dein erstes Buch oder besser Büchlein, eine Broschüre mit wenigen Seiten: Über die Notwendig keit, den Ausländerinnen einen guten Empfang zu bereiten . Jetzt schämtest du dich für die Naivität dieses romantischen, sentimentalen, gutgemeinten Textes über den nicht existierenden oder schlechten Empfang, den ausländische Frauen in Frankreich erhielten. Die Gründung einer Gesellschaft vorzuschlagen, die Ausländerinnen bei ihrer Niederlassung in Paris helfen, ihnen Unterkunft verschaffen, sie mit Menschen zusammenbringen und den Bedürftigen Trost spenden sollte! Eine Gesellschaft, deren Mitglieder einen Eid leisten und eine Hymne und Insignien mit dem Wahlspruch der Institution haben würden: Tugend, Wachsamkeit und Propaganda gegen das Laster! Mit ersticktem Lachen – wie dumm warst du doch damals, Florita – streckte sie die Glieder in ihrem engen Zimmer imHôtel du Midi. Auch du warst nicht verschont geblieben von der Epidemie der Gesellschaftsgründungen, die in Frankreich grassierte.
    Es war ein jugendlicher Text, der deine mangelnde Bildung offenbarte, ein Text, den der Besitzer der Druckerei Delaunay, im Palais Royal, von Anfang bis Ende korrigieren mußte wegen der zahlreichen Orthographiefehler des Manuskripts. War an ihm nichts zu retten, jetzt, wo du über die Jahre gereift warst? Doch, etwas gab es. Zum Beispiel dein Glaubensbekenntnis – »ein Glauben,

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