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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Pariser Gericht öffentlich machen sollte. Ein verlogenes, dummes Schreiben mit sämtlichen Klischees, die ein verliebtes junges Mädchen ihrem Liebhaber sagen mußte, nachdem sie ihm ihre Jungfräulichkeit geschenkt hatte. Und mit zahllosen Rechtschreib- und Satzbaufehlern! Wie du dich schämen solltest, als es unter dem Gekicher von Richtern, Anwälten und Publikum verlesen wurde. Warum hattest du ihm diesen Brief geschrieben, wo du doch halbtot vor Ekel von dieser Chaiselongue aufgestanden warst? Weil das die deflorierten Romanheldinnen taten.
    Sie heirateten einen Monat später, am 3. Februar 1821, im Rathaus des 11. Arrondissements, und wohnten seit diesem Tag in einer kleinen Wohnung in der Rue des Fossés-Saint-Germain-des-Prés. Als Flora, zusammengerollt im Bett der Herberge in Avallon, spürte, daß sie feuchte Augen hatte, bemühte sie sich, diese verstörenden Erinnerungen aus ihrem Kopf zu vertreiben. Worauf es ankam, war, daß Rückschläge und Enttäuschungen dich nicht zerstörten, sondern stärker machten, Andalusierin.
    In Semur erging es ihr besser als in Avallon. Wenige Schritte von den berühmten Türmen des Herzogs von Burgund entfernt, die in ihr nicht die geringste Bewunderung weckten, gab es eine Wirtschaft, die tagsüber Ausflugslokal war. Ein Dutzend Bauern feierte einen Geburtstag, auch einige Böttcher waren da. Es fiel ihr nicht schwer, mit beiden Gruppen ins Gespräch zu kommen. Sie setzten sich an einen Tisch, und sie erklärte ihnen den Grund ihrer Rundreise durch Frankreichs Provinzen. Sie betrachteten sie respektvoll und verlegen, wenn auch, dachte Flora, ohne viel zu verstehen von dem, was sie sagte.
    »Aber wir sind doch Bauern, keine Arbeiter«, meinte einer von ihnen wie zur Entschuldigung.
    »Auch die Bauern sind Arbeiter«, erklärte sie ihnen. »Und die Handwerker und die Dienstboten. Wer nicht Eigentümer ist, ist Arbeiter. Alle von den Bürgern Ausgebeuteten sind es. Und weil ihr am zahlreichsten seid und am meisten leidet, werdet ihr die Menschheit retten.«
    Sie schauten sich an, verwundert über das, was ihnen da prophezeit wurde. Schließlich faßten sie sich ein Herz und stellten ihr Fragen. Zwei von ihnen versprachen ihr, L’Union Ouvrière zu kaufen und der Organisation beizutreten, sobald sie gegründet wäre. Um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, mußte Flora, bevor sie ging, an einem Glas Wein nippen.
    Sie traf im Morgengrauen des 18. April 1844 in Dijon ein, mit heftigen Schmerzen in der Gebärmutter und der Blase, die in der Kutsche aufgetreten waren, wahrscheinlichinfolge der Erschütterungen und der Reizung der inneren Organe durch den Staub, den sie geschluckt hatte. Die ganze Woche in Dijon wurde sie von diesen Beschwerden im Unterleib geplagt, die sengenden Durst erzeugten, den sie mit kleinen Schlucken Zuckerwasser bekämpfte, und war dennoch guter Dinge, denn sie ruhte keinen Augenblick in dieser sauberen, hübschen und einladenden Stadt mit ihren dreißigtausend Seelen. Die drei Tageszeitungen in Dijon hatten ihren Besuch angekündigt, und dank ihrer Freunde bei den Pariser Saintsimonisten und Fourieristen erwarteten sie etliche, bereits vorbereitete Treffen.
    Sie freute sich darauf, Mlle Antoinette Quarré kennenzulernen, eine Näherin und Dichterin aus Dijon, die Lamartine ihres künstlerischen Talents, ihres Lebensmuts und ihres Gerechtigkeitssinnes wegen in einem Gedicht »Vorbild der Frauen« genannt hatte. Doch schon bald nachdem sie in der Redaktion des Journal de la Côte d’Or ein Gespräch mit ihr angeknüpft hatte, wurde ihr klar, daß sie eitel und dumm war. Sie hatte einen Buckel auf Rücken und Brust und war obendrein ungeheuer dick und fast eine Zwergin. Sie entstammte einer sehr armen Familie, und ihre literarischen Triumphe gaben ihr jetzt das Gefühl, zum Bürgertum zu gehören.
    »Ich glaube nicht, daß ich Ihnen helfen kann, Madame«, sagte sie, unfreundlich und mit einem Kinderhändchen fuchtelnd, nachdem sie ihr ungeduldig zugehört hatte. »Nach dem, was Sie gesagt haben, richtet sich Ihre Propaganda an die Arbeiter. Ich habe keinen Umgang mit Leuten aus dem Volk.«
    ›Natürlich nicht, du würdest sie in die Flucht schlagen‹, dachte Madame-la-Colère. Sie verabschiedete sich kühl von ihr, ohne ihr das Exemplar von L’Union Ouvrière zu überreichen, das sie ihr als Geschenk mitgebracht hatte.
    Die Saintsimonisten waren gut eingeführt in Dijon. Sie besaßen ihr eigenes Quartier. Prosper Enfantin hatte sie vorab in Kenntnis

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