Das Paradies ist anderswo
der Ferne, durch Regen und Nebel, an der Insel vorbeigefahren war, eines dieser unglückbringenden amerikanischen Walfangschiffe war, die den Eingeborenen von Hiva Oa Furcht einjagten, weil Inselbewohner entführt und gewaltsam der Besatzung einverleibt worden waren. Doch dann hatten sie sich den Argumenten Frébaults und Ben Varneys gefügt, denen zufolge die Walfangschiffe nicht mehr kamen, weil es hier keine Wale mehr gab, und beschlossen, daß das Schiff, das sie gesehen hatten, nicht existierte, daß es ein Gespensterschiff war.
Die plötzliche Frage des protestantischen Geistlichen von Atuona verwirrte Paul. Sie plauderten im überschwemmtenGarten des Hauses der Wonnen. Zum Glück hatte es zu regnen aufgehört. Als die Wolken vor einer Stunde aufgerissen waren, hatten sie einen Himmel von reinstem Blau entblößt, und die Sonne brannte mit großer Kraft. Es hatte die ganze Woche sintflutartig geregnet, und Pauls fünf Freunde – Ky Dong, Ben Varney, Emile Frébault, sein Nachbar Tioka und der Leiter der protestantischen Mission – freuten sich sehr über dieses Intermezzo schönen Wetters. Pastor Vernier war der einzige, der keinen Alkohol trank. Die anderen hielten Gläser mit Absinth oder Rum in den Händen und hatten beschwipste Augen.
»Haben Sie sich schon als Kind zum Künstler berufen gefühlt?« beharrte Pastor Vernier. »Das Thema der Berufung interessiert mich sehr. Gleich ob in der Religion oder in der Kunst. Denn ich glaube, beide haben vieles gemeinsam.«
Pastor Vernier war ein magerer, altersloser Mann, der sehr sanft sprach, als würde er die Worte liebkosen. Seine Leidenschaft galt den Seelen und den Blumen; sein Garten zu Füßen der beiden schönen Tamarindenbäume der Mission, die Koke von seinem Atelier aus sehen konnte, war der gepflegteste und wohlriechendste von ganz Atuona. Er errötete jedesmal, wenn Paul oder die anderen unanständige Worte sagten oder sich auf Sexuelles bezogen. Er betrachtete Koke mit Interesse, als läge ihm die Sache mit der Berufung wirklich am Herzen.
»Na ja, mich hat dieses Laster sehr spät befallen«, sagte Paul nachdenklich. »Bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr habe ich, glaube ich, nicht mal ein Strichmännchen gezeichnet. Künstler waren für mich allesamt Bohemiens und Schwule. Ich verachtete sie. Als ich am Ende des Krieges aus der Marine austrat, wußte ich nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Aber das einzige, was mir nicht in den Sinn kam, war, Maler zu werden.«
Deine Freunde lachten, weil sie das für einen deiner üblichen Scherze hielten. Aber es stimmte, es stimmte, Paul.Auch wenn niemand es verstand, angefangen bei dir selbst. Das große Geheimnis deines Lebens, Koke. Du hattest es tausendmal ausgelotet, ohne jemals eine Erklärung zu finden. Trugst du den Keim seit der Wiege in dir? Hatte er auf den Augenblick, auf die passende Gelegenheit gewartet, um aufzugehen? Das hatte gerade Ky Dong angedeutet, der schmächtig wirkte in seinem geblümten Pareo.
»Aber Paul, ein reifer Mann kann sich doch nicht plötzlich zum Maler berufen fühlen. Erzähl uns die Wahrheit.«
Es war die Wahrheit, auch wenn deine Freunde dir nicht glaubten. In deiner Erinnerung gab es nicht die Spur eines Interesses für Malerei oder sonst eine Kunst in den Jahren, in denen du auf Schiffen der Handelsmarine die Meere befuhrst, oder später, als du auf der Jerôme-Napoléon deinen Militärdienst leistetest. Auch nicht vorher, im Internat von Monseigneur Dupanloup, in Orléans. Dein Gedächtnis versagte in der letzten Zeit, aber dessen warst du dir sicher: Weder als Schüler noch als Seemann hattest du jemals etwas gezeichnet oder ein Museum besucht oder eine Kunstgalerie betreten. Und als du nach deiner Entlassung aus dem Militärdienst in Paris zu deinem Vormund Gustave Arosa zogst, schenktest du den Bildern, die an seinen Wänden hingen, keine besondere Aufmerksamkeit; nur die kleinen alten Inka-Figuren aus gebranntem Ton, die dein Vormund besaß, weckten dein Interesse, aber taten sie das aus künstlerischen Gründen oder weil sie dich an die kleinen Gestalten auf den prähispanischen Umhängen erinnerten, die dich als Kind, in Lima, im Haus von Onkel Pío Tristán, so gefesselt hatten?
»Und was hast du dann zwischen zwanzig und dreißig getan?« fragte Ben. Der ehemalige Walfänger und Besitzer des Kaufladens von Atuona war hochrot, und seine Augen traten leicht hervor. Aber seine Stimme war noch nicht die eines Betrunkenen.
»Ich war
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