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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gewinnen. Der andere war von dem Künstler Jules Laure, mit dem sie eine enge Freundschaft verband. In den Pariser Salons behauptete man, sie seien ein Liebespaar und Laure würde sie aushalten. Ersteres war falsch, denn als Jules Laure ihr nach der Fertigstellung ihres Porträts vor vier Jahren seine Liebe gestand, hatte Flora ihn mit schonungsloser Offenheit abgewiesen. Und ihm kategorisch erklärt, er solle nicht insistieren: ihre Aufgabe, ihr Kampf seien unvereinbar mit einer Liebesleidenschaft. Sie habe auf ein Gefühlsleben verzichtet, um sich mit Leib und Seele der Veränderung der Gesellschaft zu widmen. So unglaublich es schien, Jules Faure verstand sie. Er bat sie, sie sollten, wenn keinLiebespaar, dann wenigstens Freunde, Geschwister, Gefährten sein. Und das waren sie. In dem Maler hatte Flora jemanden gefunden, der sie achtete und liebte, einen Vertrauten und einen Verbündeten, der ihr Freundschaft und Unterstützung in Momenten der Mutlosigkeit bot. Außerdem half Laure, der finanziell sehr gut gestellt war, ihr manchmal bei materiellen Problemen. Nie wieder hatte er zu ihr von Liebe gesprochen oder auch nur versucht, ihre Hand zu fassen.
    Sein Brief enthielt schlechte Nachrichten. Der Besitzer ihrer Wohnung in der Nummer 100 der Rue du Bac hatte sie hinausgeworfen, weil sie mehrere Monate nacheinander keine Miete gezahlt hatte. Er hatte ihr Bett und ihr übriges Mobiliar auf die Straße gestellt. Als Jules Laure auf eine Benachrichtigung hin herbeieilte, um die Sachen zu retten und in ein Depot zu bringen, waren schon mehrere Stunden vergangen. Er fürchtete, etliche Gegenstände könnten von Leuten aus der Nachbarschaft gestohlen worden sein. Flora verharrte einen Augenblick lang wie betäubt. Ihr Herz schlug schneller, in maßloser Empörung. Mit geschlossenen Augen stellte sie sich die schändliche Operation vor, die Träger, die dieses nach Knoblauch stinkende Tier in Menschenkleidung bezahlt hatte, damit sie die Möbel, Kisten, Kleidungsstücke, Papiere hinaustrugen, die Treppen hinunterwarfen, auf dem Pflaster der Straße aufschichteten. Erst eine ganze Weile später konnte sie weinen und ihrer Wut Luft machen, indem sie mit lauter Stimme dieses »elende Lumpenpack«, diese »widerwärtigen Rentiers«, diese »schmutzigen Harpyien« verfluchte. »Wir werden all diese Eigentümer bei lebendigem Leib verbrennen!« wetterte sie und stellte sich dabei an den Pariser Straßenecken die rauchenden Scheiterhaufen vor, auf denen dieser Abschaum geröstet wurde. Bis sie vor lauter ausgemalten Schandtaten lachen mußte. Einmal mehr hatten diese bösen Phantasien sie beruhigt; es war ein Spiel, das sie seit ihrer Kindheit in der Rue du Fouarre spielte und das immer funktionierte.
    Doch dann hielt sie sich nicht weiter damit auf, daß sie kein Zuhause mehr besaß und zweifellos einen gut Teil ihrer mageren Besitztümer verloren hatte, und begann sich darüber Gedanken zu machen, wie man den Revolutionären eine minimale Sicherheit in bezug auf Wohnung und Unterhalt geben konnte, wenn sie auszogen, um Anhänger zu gewinnen und die gesellschaftliche Reform zu predigen. Als es Mitternacht schlug, arbeitete sie noch immer in ihrem kleinen Hotelzimmer, im Licht einer knisternden Kerze, an einem Plan für »Refugien«, die wie die Klöster und Häuser der Jesuiten die Revolutionäre stets mit einem Bett und einem Teller heißer Suppe erwarten würden, wenn sie durch die Welt zogen, um die Revolution zu predigen.

XVIII

Das späte Laster
Atuona, Dezember 1902
    »Wollten Sie eigentlich immer Maler werden, Paul?« fragte Pastor Vernier plötzlich.
    Sie hatten getrunken, das grandiose »schleimige Omelett« des Hausherrn gegessen und die Probleme erörtert, die Paul sich nach Meinung von Ben Varney und Ky Dong einhandeln würde, wenn er weiter die Behörden provozierte, indem er die Marquesaner aufforderte, keine Steuern zu zahlen. Sie hatten gelacht und sich den Wutanfall ausgemalt, den Bischof Martin bekommen würde, wenn er erführe, daß Koke in seinem Garten gerade zwei Holzskulpturen aufgestellt hatte, die eine Anspielung auf das darstellten, was den Purpurträger am meisten schmerzen mußte: Die gehörnte, betende Figur hatte sein Gesicht und hieß Pater Wollust und die Frau mit großen Brüsten und Hüften, die sie obszön zur Schau stellte, Thérèse , wie das Dienstmädchen, das nach Volkes Stimme in Atuona die Geliebte des Bischofs war. Sie hatten darüber debattiert, ob das geheimnisvolle Schiff, das in

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