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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Claude-Emile sehr viel gelesen hatte. Ob er wohl noch immer das Nirwana erreichen wollte? Was dich erstaunte, neugierig machte und allmählich ansteckte, war indes die Art und Weise, wie Schuff über Malerei und die Maler sprach. Für den guten Schuff waren Künstler andersartige Wesen, halb Engel, halb Teufel, die sich von den normalen Menschen unterschieden. Die Kunstwerke stellten eine andere Wirklichkeit dar, die reiner, vollkommener, geordneter war als diese schäbige, triviale Welt. In die Umlaufbahn der Kunst eintreten hieß Zugang zu einem anderen Leben finden, in dem nicht nur der Geist, sondern auch der Körper über die Sinne bereichert wurde und Genuß empfand.
    »Er verdarb mich, und ich merkte es nicht.« Paul hob sein Glas. »Auf den guten Schuff! Er schleppte mich in Galerien, in Museen, in Künstlerateliers. Er nahm mich zum ersten Mal mit in den Louvre, wo ich ihm beim Kopieren der Großen zusah. Und eines schönen Tages, ich weiß nicht mehr, wann und wie, in meiner Freizeit, begann ich heimlich zu zeichnen. So fing es an. Dieses späte Laster. Ich erinnere mich an das Gefühl, etwas Schlechtes zu tun, wie als Kind, in Orléans, bei Onkel Zizi, wenn ich masturbierte oder heimlich das Dienstmädchen beim Ausziehen beobachtete. Unglaublich, nicht? An einem Tag drängte er mich, eine Staffelei zu kaufen. An einem anderen zeigte er mir das Malen mit Öl. Nie zuvor hatte ich einen Pinsel in Händen gehalten. Er ließ mich die Farben vorbereiten, sie mischen. Er verdarb mich, ich sage es euch! Mit seinem Duckmäusergesicht, in dem stand, ich bin niemand, ich existiere nicht, löste der gute Schuff ein Erdbeben in meinem Leben aus. Durch die Schuld dieses dicken Elsässers bin ich hier, am Ende der Welt.«
    Aber war denn das entscheidende Ereignis nicht wenigerder gute Schuff als vielmehr jener Besuch in der Galerie in der Rue Vivienne gewesen, wo die Olympia von Edouard Manet ausgestellt wurde?
    »Es war, als hätte mich der Blitz getroffen, als sähe ich eine Erscheinung«, erklärte Paul. »Die Olympia von Edouard Manet. Das beeindruckendste Bild, das ich je gesehen hatte. Ich dachte: ›Wenn man so malt, ist man ein Zentaur, ein Gott.‹ Ich dachte: ›Auch ich muß Maler werden.‹ Ich erinnere mich nicht mehr so genau. Aber so ähnlich war es.«
    »Ein Bild kann das Leben eines Menschen verändern?« Ky Dong schaute ihn skeptisch an.
    Über ihren Köpfen fand jetzt erneut ein Höllenspektakel aus Blitzen und Donner statt, und der Wind zerrte wütend an allen Bäumen Atuonas. Aber noch regnete es nicht. Nebliger Dunst verdeckte abermals die Sonne. Die massigen, bewaldeten Formen des Temetiu und des Feani waren verschwunden. Die Freunde verstummten, bis sie in einer weiteren Pause des Unwetters wieder ihre Stimmen hören konnten.
    »Meines hat es verändert und aus der Bahn geworfen«, erklärte Paul mit plötzlicher Wut. »Es verstörte mich, bereitete mir Alpträume. Auf einmal gab mir nichts mehr Sicherheit, nicht einmal der Boden, auf den ich trat. Habt ihr nicht das Photo der Olympia in meinem Atelier gesehen? Ich werde es euch zeigen.«
    Er durchquerte den schlammigen Garten mit platschenden Schritten und stieg in den Oberstock des Hauses der Wonnen hinauf. Der Wind rüttelte an der Außenleiter, als wollte er sie abreißen. Das vergilbte, leicht verschwommene Photo der Olympia war das Herzstück der Serie von Drucken und Abzügen seiner alten Sammlung: Holbein, Dürer, Rembrandt, Puvis de Chavannes, Degas, einige japanische Schnitte, die Reproduktion eines Basreliefs des javanischen Tempels von Borobudur. Als die Regengüsse vor sieben Tagen begannen, hatte er die pornographischen Photos abgehängt und unter die Matratze gelegt, um sievor dem Regen zu schützen, der durch das Bambus eingedrungen war und den ganzen Raum naß gemacht hatte. Viele dieser durchnäßten Photos würden ihre ohnehin blassen Farben jetzt völlig verlieren. Das der Olympia war das älteste. Du hattest es nach jener Ausstellung in der Rue Vivienne mit großem Eifer gesucht und dich seither nie wieder von ihm getrennt.
    Seine Freunde betrachteten es und ließen es von Hand zu Hand gehen, und als Pastor Vernier den nackten, leuchtenden Körper von Victorine Meurend erblickte (Koke erzählte ihnen, er habe sie kennengelernt und das Modell sei nicht einmal ein ferner Abglanz ihres Bildes, Manet habe sie verwandelt), die mit dem Blick einer freien, überlegenen Frau die ganze Welt herausforderte, während ihr schwarzes

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