Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
ließ Camille Pissarro in einem Ton, der aufrichtig schien, die Bemerkung fallen, Paul habe »echte Veranlagung zum Künstler«. Mette Gad zeigte sich überrascht. Was bedeutete das?
    »Stimmt es, was Pissarro gesagt hat?« fragte sie ihrenMann, als sie wieder in Paris waren. »Dich interessiert die Kunst? Das hast du mir nie gesagt.«
    Der Schrecken, das Schuldgefühl, ein Schauer, der dich von Kopf bis Fuß durchlief, Paul. Nein, ma belle , ein bloßer Zeitvertreib. Etwas, das gesünder und vernünftiger sei, als die Abende in Bars und Cafés beim Dominospiel mit den Freunden zu vergeuden. Nicht war, Wikingerin? Sie, mit einem Anflug von Unruhe: Ja, gewiß doch. Weibliche Intuition, Paul. Ahnte sie, daß die Auflösung Einzug in ihr Heim gehalten hatte, daß dieser ungebetene Gast am Ende ihre Ehe und ihren Ehrgeiz zerstören würde, eine reiche, mondäne Bürgersfrau in der Lichterstadt zu werden?
    Nach diesem Vorfall fühltest du dich merkwürdig befreit und berechtigt, dein neues Laster vor deiner Frau und deinen Freunden zur Schau zu stellen. Warum sollte ein erfolgreicher Makler der Pariser Börse nicht das Recht haben, sich vor der Welt zu diesem künstlerischen Steckenpferd zu bekennen, das er in seiner Freizeit pflegte, so wie andere Billard spielten oder zu Pferderennen gingen? 1876 batest du in einem Anfall von Kühnheit deine Schwester Marie Fernande und ihren frischangetrauten Ehemann Juan Uribe, dir das Bild zu leihen, das du ihnen zu ihrer Hochzeit geschenkt hattest, Unterholz in Viroflay , und reichtest es ein für den Salon. Es wurde unter Tausenden von Bewerbern angenommen. Wer sich am meisten freute, war Camille Pissarro, der dich seitdem mit ins Café Nouvelle Athènes, in Clichy, nahm, das Hauptquartier seiner Freunde, denen er dich als seinen Schüler vorstellte. Die Impressionisten hatten gerade ihre zweite Gemeinschaftsausstellung veranstaltet. Während der imponierende Degas, der mißmutige Monet und der fröhliche Renoir mit Pissarro plauderten – eine menschliche Tonne mit weißem Bart und unverbrüchlich guter Laune –, saßest du stumm daneben und schämtest dich vor diesen Künstlern, weiter nichts als ein Börsenmakler zu sein. Als eines Abends Edouard Manet im Café auftauchte, der Maler der Olympia , wurdest du blaß, schienst einer Ohnmacht nahe. Indeiner Benommenheit warst du kaum imstande, einen Gruß zu stammeln. Wie anders warst du damals, Koke! Wie weit entfernt von dem, der du heute warst! Mette konnte sich nicht beklagen, denn du verdientest weiterhin gutes Geld. 1876 erhieltest du zusätzlich zu deinem Gehalt einen Bonus von dreitausendsechshundert Francs, und im folgenden Jahr, als Aline geboren wurde, zogst du um. Der Bildhauer Jules-Ernest Bouillot vermietete dir eine Wohnung und ein kleines Atelier in Vaugirard. Dort begannst du, unter Anleitung des Hausherrn mit Ton zu modellieren und mit Marmor zu arbeiten. Mettes Kopf, auf den du so große Mühe verwandt hattest, war er ein annehmbares Werk? Du konntest dich nicht erinnern.
    »Dieses Doppelleben muß schwierig gewesen sein«, bemerkte Ky Dong. »Tagsüber Börsenmakler und zwischendurch Malerei und Bildhauerei. Das erinnert mich an meine Zeiten als Verschwörer, in Annam. Am Tage ein gesetzter Beamter der Kolonialverwaltung. Und in der Nacht die Revolte. Wie hast du das geschafft, Paul?«
    »Ich habe es nicht geschafft«, sagte Paul. »Aber was sollte ich tun. Ich war ein Bourgeois mit Prinzipien. Wie hätte ich alles, was auf meinen Schultern lastete, Frau, Kinder, Sicherheit, Reputation, zum Teufel schicken können? Zum Glück hatte ich die Energie eines Vulkans. Vier Stunden Schlaf genügten mir.«
    »Ich muß dir einen Rat geben, jetzt, wo ich blau bin«, unterbrach ihn Ben Varney und wechselte plötzlich das Thema. Seine Stimme schwankte; vor allem seine Augen ließen erkennen, daß er betrunken war. »Hör auf, dich mit den Behörden von Atuona anzulegen, denn es wird übel für dich ausgehen. Sie sind mächtig, wir nicht. Wir werden dir nicht helfen können, Koke.«
    Paul zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Absinth. Es kostete ihn Mühe, sich von jenem Mann Anfang Dreißig zu lösen, der damals in Paris zerrissen gewesen war zwischen seinen familiären Pflichten und dieser späten künstlerischen Leidenschaft, die sich mit der Gefräßigkeiteines Bandwurms in seinem Leben eingenistet hatte. Wovon redete Varney? Ach ja, von deiner Kampagne, damit die Maori keine »Wegesteuer« zahlten. Deine

Weitere Kostenlose Bücher