Das Paradies ist anderswo
aufzusetzen. »Sie sindmir doch nicht böse, nicht wahr, Flora?« flüsterte sie dir mit warmer Stimme ins Ohr. »Ich weiß nicht, ob ich böse bin oder nicht. Ich bin verwirrt. Es ist das erste Mal, daß eine Frau mich auf den Mund küßt.« »Ich liebe Sie, seitdem ich Sie damals in der Oper gesehen habe«, sagte Olympe und schaute dir in die Augen. »Können wir uns allein sehen, um uns besser kennenzulernen? Ich bitte Sie darum, Flora.«
Sie hatten sich gesehen, zusammen Tee getrunken, waren im Fiaker durch Neuilly gefahren, und als Flora ihr von ihren ehelichen Erfahrungen mit André Chazal erzählte, füllten sich die glühenden Augen ihrer Freundin mit Tränen. Du gestandest ihr, daß du seit deiner Ehe eine instinktive Abscheu vor dem Liebesakt empfunden und deshalb niemals einen Geliebten gehabt hattest. Mit unendlicher Zartheit und Sanftheit bat Olympe dich, während sie deine Hände küßte, du mögest ihr erlauben, dir zu zeigen, wie süß und angenehm die Lust zwischen zwei sich liebenden Freundinnen sein könne. Seitdem suchte sie bei jeder Begrüßung und jedem Abschied ihre Lippen.
Bald darauf liebten sie sich zum ersten Mal, in einem kleinen Landhaus in der Nähe von Pontoise, wo das Ehepaar Chodzko den Sommer und manche Wochenenden verbrachte. Die nahen Pappeln bogen sich im Wind und rauschten komplizenhaft; Vogelgezwitscher war zu hören, und die erregende, leicht berauschende Atmosphäre des vom knisternden Kaminfeuer erwärmten Zimmers ließ langsam Floras Befangenheit schwinden. Ihre Freundin gab ihr aus ihrem Mund Schlucke Champagner zu trinken und half ihr beim Auskleiden. Dann entkleidete Olympe sich ihrerseits mit der größten Natürlichkeit, nahm Flora in die Arme und legte sie auf das Bett, während sie ihr zärtliche Worte zuraunte. Sie betrachtete sie lange hingebungsvoll und begann dann, sie zu liebkosen. Sie hatte dir Lust verschafft, Florita, ja, große Lust, als die ersten Augenblicke der Verwirrung und des Argwohns vorbei waren. Sie hatte dir das Gefühl gegeben, daß du schön warst, begehrenswert,jung, eine Frau. Olympe lehrte dich, daß man weder Angst noch Abscheu vor dem Liebesakt zu haben braucht, daß die Hingabe an das Begehren, das Eintauchen in die Sinnenfreude der Liebkosungen, in die Wonne des körperlichen Genusses, eine intensive, gesteigerte Form des Lebens ist, wenn sie auch nur einige Stunden, einige Minuten währte. Was für ein köstlicher Egoismus, Florita. Die Entdeckung der körperlichen Lust, eines Genusses ohne Gewalt, zwischen Gleichen, gab dir das Gefühl, eine vollständigere, freiere Frau zu sein. Obwohl du nie, nicht einmal in den Tagen, an denen du mit Olympe am glücklichsten warst und dich dem reinen körperlichen Vergnügen hingabst, ein Gefühl von Schuld und das Empfinden vermeiden konntest, Energien, sittliche Kräfte zu vergeuden.
Diese Beziehung dauerte nicht ganz zwei Jahre. Flora konnte sich an keinen einzigen Streit, an keine Entfremdung, an keinen Mißton erinnern, die sie getrübt hätten. Zwar sahen sie sich nicht oft, weil beide zahlreiche Beschäftigungen hatten und Olympe außerdem einen Ehemann und ein Heim, um die sie sich kümmern mußte, aber wenn sie zusammentrafen, dann war es immer der Himmel auf Erden. Sie amüsierten und genossen sich wie zwei kleine verliebte Mädchen. Olympe war frivoler und mondäner als Flora und interessierte sich, abgesehen von der Tragödie des unterjochten Polen, nicht für soziale Fragen, weder für das Los der Frauen noch für das der Arbeiter. Und Polen interessierte sie ihres Mannes wegen, den sie in ihrer freien Art sehr liebte. Doch sie war vital, unermüdlich und, was dich betraf, von unendlicher Zärtlichkeit. Flora hörte ihr amüsiert zu, wenn sie ihr von den Intrigen und Klatschgeschichten der großen Welt erzählte, denn sie tat es mit Witz und Ironie. Außerdem war Olympe eine gebildete Frau, die viel gelesen hatte und Kenntnisse in Geschichte, Kunst und Politik besaß, denen ihre Leidenschaft galt, so daß Flora auch auf geistigem Gebiet viel durch ihre Freundschaft gewann. Sie liebten sich mehrmals in demkleinen Haus bei Pontoise, aber auch in der Pariser Wohnung Olympes, in der Floras in der Rue du Bac und einmal, du als Nymphe und sie als Silen verkleidet, in einer Herberge am Waldrand in Marly, wo die Eichhörnchen ans Fenster kamen und ihnen Erdnüsse aus den Händen fraßen. Als Flora 1839 für vier Monate nach London ging, um ein Buch über die Lage der Armen in dieser Bastion
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