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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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des Kapitalismus zu schreiben, wechselten sie zwei- oder dreimal pro Woche Briefe, leidenschaftliche Botschaften, in denen sie sich sagten, daß sie sich vermißten, aneinander dachten, einander begehrten und daß beide die Tage, die Stunden, die Minuten zählten, bis sie sich wiedersehen würden. »Ich küsse und liebkose dich in all meinen Träumen, Olympe. Ich liebe das Dunkel deines Haars, deiner Scham. Seit ich dich kenne, verabscheue ich blonde Frauen.« Gingen dir diese flammenden Sätze, die du Olympe aus London schriebst, im Kopf herum, während du, als Mann verkleidet, Fabriken, Wirtshäuser, arme Vorstädte und Bordelle besuchtest, um deinen Haß auf dieses Paradies der Reichen und diese Hölle der Armen zu untermauern? Ja, wortwörtlich. Aber warum, Andalusierin, warum erklärtest du dann Olympe gleich nach deiner Rückkehr, noch am Nachmittag deiner Ankunft in Paris, daß die Beziehung zu Ende sei, daß sie sich nie mehr sehen dürften? Olympe, immer so selbstsicher, so Dame von Welt, riß Mund und Augen auf und wurde blaß. Aber sie sagte nichts. Sie kannte dich und wußte, daß deine Entscheidung unwiderruflich war. Sie schaute dich an, während sie sich auf die Lippen biß, am Boden zerstört.
    »Nicht, weil ich dich nicht liebe, Olympe. Ich liebe dich, du bist der einzige Mensch auf dieser Welt, den ich geliebt habe. Ich werde dir immer dankbar sein für diese beiden Jahre voll Glück. Aber ich habe eine Mission. Ich könnte sie nicht erfüllen, wenn ich meine Gefühle und meinen Geist zwischen meinen Pflichten und dir aufteilen müßte. Nichts und niemand darf mich von meinem Vorhaben ablenken. Nicht einmal du. Ich muß mich dieser Aufgabe mitLeib und Seele widmen. Ich habe nicht viel Zeit, mein Liebling. Ich kenne niemanden in Frankreich, der an meine Stelle treten könnte. Diese Kugel hier kann meinem Leben jeden Augenblick ein Ende machen. Zumindest muß ich die Dinge auf den rechten Weg bringen. Bitte grolle mir nicht, verzeih mir.«
    Sie hatten sich nicht wiedergesehen. In der Zwischenzeit hattest du deine unerbittliche Streitschrift gegen England geschrieben – Spaziergänge durch London – und dein Büchlein über die Arbeiterunion , und jetzt warst du hier, in den Pyrenäen, an Frankreichs Grenze, in Carcassonne, und versuchtest, die universale Revolution in Gang zu bringen. Bereutest du nicht, daß du die zärtliche Olympe auf diese Weise verlassen hattest, Florita? Nein. Es war deine Pflicht, so zu handeln, wie du es getan hattest. Die Ausgebeuteten zu erlösen, die Arbeiter zu vereinen, Gleichheit für die Frauen zu erlangen, den Opfern dieser so schlecht eingerichteten Welt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – das alles war wichtiger als der wunderbare Egoismus der Liebe, als die erhabene Gleichgültigkeit gegenüber der Welt, in die man durch die Lust verfiel. Das einzige Gefühl, das dein Leben jetzt zuließ, war die Liebe zur Menschheit. Nicht einmal für deine Tochter Aline war noch Platz in deinem besetzten Herzen, Florita. Aline war in Amsterdam, wo sie als Lehrling bei einer Modistin arbeitete, und manchmal vergingen Wochen, ohne daß du daran dachtest, ihr zu schreiben.
    Am gleichen Abend, an dem Flora in Carcassonne eintraf, hatte sie eine unangenehme Begegnung mit den örtlichen Fourieristen, die unter der Ägide von Monsieur Escudié ihren Besuch organisiert hatten. Sie hatten ihr ein Zimmer im Hôtel Bonnet reserviert, am Fuß der Stadtmauer. Sie lag schon im Bett, als ein Klopfen an ihrer Zimmertür sie weckte. Der Hotelier erging sich in Entschuldigungen: Einige Herren bestünden darauf, sie zu sehen. Es sei sehr spät, sie sollten morgen wiederkommen. Da sie jedoch so sehr darauf beharrten, warf sie sich einen Morgenmantelüber und ging zu ihnen. Die etwa zwölf örtlichen Fourieristen, die sie willkommen heißen wollten, waren betrunken. Ihr wurde übel vor Ärger. Wollten diese Bohemiens die Revolution mit Champagner und Bier machen? Einem von ihnen, der mit schwerer Zunge und glasigen Augen darauf bestand, sie solle sich ankleiden, er wolle ihr die Kirchen und mittelalterlichen Mauern im Mondschein zeigen, antwortete sie:
    »Was bedeuten mir die alten Steine, wenn es so viele Menschen mit ungelösten Problemen gibt! Lassen Sie sich gesagt sein, daß ich ohne zu zögern die schönste Kirche der Christenheit für einen einzigen intelligenten Arbeiter eintauschen würde.«
    Als sie sahen, wie zornig sie war, entfernten sie sich schließlich.
    In der Woche, die sie in

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