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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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für Fortschritte seit jener Versammlung in Paris, die der wunderbare Gosset, »der Vater der Schmiede«, am 4. Februar 1843 organisiert hatte, damit du zum erstenmal vor einer Gruppe Pariser Arbeiter überdie Arbeiterunion sprechen konntest. Eineinhalb Jahre waren nicht viel. Doch mit dieser Müdigkeit in deinen sämtlichen Knochen und Muskeln kam es dir wie eine Ewigkeit vor.
    Du hattest viele Dinge dieser letzten achtzehn Monate vergessen, die so reich gewesen waren an Ereignissen, an Höhenflügen und auch an Mißerfolgen, aber nie würdest du vergessen, wie du zum erstenmal in der Öffentlichkeit, in Gossets Arbeitergenossenschaft, deine Ideen vorgetragen hattest. Den Vorsitz führte Achille François, ein Urgestein unter den Pariser Gerbern. Deine Nervosität war so groß, daß du deine Unterhose naß machtest, was zum Glück niemand bemerkte. Sie hörten dir zu, stellten dir Fragen, es kam zu einer Debatte, und am Ende wurde ein siebenköpfiges Komitee als organisatorischer Kern der Bewegung gegründet. Wie leicht dir damals alles erschien, Florita! Eine Illusion. Bei den nächsten Treffen mit diesem ersten Komitee vergiftete sich die Atmosphäre allmählich durch die Kritik, die seine Mitglieder an deinem noch ungedruckten Text L’Union Ouvrière übten. Vor allem daran, daß du vom »erbärmlichen materiellen und moralischen Zustand« der Arbeiter in Frankreich gesprochen hattest. Das erschien ihnen defätistisch, demoralisierend, auch wenn es der Wahrheit entsprach. Als Gosset hörte, wie du diesen Kritikern an den Kopf warfst, sie seien »Dummköpfe und Ignoranten, die nicht gerettet werden wollten«, erteilte er, der »Vater der Schmiede«, dir eine Lektion, an die du oft denken solltest:
    »Zügeln Sie Ihre Ungeduld, Flora Tristan. Sie machen Ihre ersten Schritte in diesem Kampf. Lernen Sie von Achille François. Er arbeitet von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends, um die Seinen zu ernähren, und von acht Uhr bis zwei Uhr in der Frühe für seine Brüder, die Arbeiter. Ist es gerecht, ihn dumm und ignorant zu nennen, weil er sich erlaubt, anderer Meinung zu sein als Sie?«
    Der »Vater der Schmiede« war alles andere als dumm und ignorant. Vielmehr ein Born der Weisheit, der dich injenen ersten Wochen deines Propagandafeldzuges in Paris mehr als sonst jemand unterstützte. Er wurde dir zum Meister, zum geistigen Vater. Doch Madame Gosset verstand diese erhabene Freundschaft nicht. Eines schönen Abends erschien sie wütend und empört bei Achille François, wo sie eine Versammlung abhielten, stürzte sich wie eine griechische Furie auf dich und überhäufte dich mit Beschimpfungen. Spuckend und das hexenhafte Haar schüttelnd, drohte sie dir, dich bei der Justiz anzuzeigen, wenn du auf deinem niederträchtigen Versuch beharrtest, ihr den Ehemann auszuspannen! Die alte Gosset glaubte, du seist dabei, den bejahrten Arbeiterführer zu becircen. Ach, Florita, wie komisch. Ja, wie komisch. Doch diese Szene wie aus einem proletarischen Schwank lehrte dich, daß nichts einfach war und schon gar nicht der Kampf für Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Und auch, wie sehr die Arbeiter, obwohl arm und ausgebeutet, den Bürgern glichen.
    Das Konzert von Liszt in Bordeaux, Ende September 1844, dem du mehr aus Neugier als aus Liebe zur Musik beiwohntest (wie mochte dieser Pianist sein, der dir seit sechs Monaten wieder und wieder auf den Wegen Frankreichs begegnete?), endete ebenfalls wie eine Farce: eine plötzliche Ohnmacht, die dich zu Boden stürzen ließ und sämtliche Blicke des Publikums – auch den wütenden des unterbrochenen Pianisten – zu deiner Loge im Grand Théâtre lenkte. Und den krönenden Abschluß lieferte der Artikel eines zerstreuten Journalisten, der deine Ohnmacht zum Anlaß nahm, um dich als eine mondäne Sylphide darzustellen: »Bewunderswert schön, von eleganter, zierlicher Gestalt, mit stolzer, lebhafter Miene, mit den feurigen Augen des Orients, mit langer schwarzer Haarmähne, die ihr als Umhang dienen könnte, mit schöner olivenfarbener Haut und weißen, feinen Zähnen, erlitt Madame Flora Tristan, die Schriftstellerin und soziale Reformerin, Tochter der Blitze und der Schatten, gestern abend einen Schwächeanfall, vielleicht durch die Trance, in die sie die erhabenen Arpeggien des Maestro Liszt versetzt hatten.«Du wurdest rot bis in die Haarwurzeln, als dir diese frivole Dummheit vor Augen kam, nachdem du in diesem weichen Bett aufgewacht warst. Wo warst du, Florita? Das elegante,

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